Kommentar
Stellen Anleger einem Unternehmer gegen hohe Erfolgsbeteiligung auf einem Sammelkonto Geldbeträge zur Verfügung, die der gegenüber den Kapitalgebern nicht weisungsgebundene Unternehmer zu nicht näher bezeichneten Börsentermingeschäften verwenden soll, so können die betreffenden Rechtsverhältnisse als typisch stille Gesellschaften i. S. v. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG zu qualifizieren sein ( Stille Gesellschaft ; Kapitalvermögen ).
Die den gutgläubigen Anlegern ausgezahlten „Renditen” sind auch dann als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu erfassen, wenn der Unternehmer aus den spekulativen Börsengeschäften in Wahrheit gar keine Gewinne erzielt, sondern Verluste erlitten hat. Das gilt auch, wenn die ausgezahlten „Gewinnanteile” aus Kapitaleinlagen anderer Anleger oder gar der Zahlungsempfänger selbst herrührten („Schneeballsystem”).
Erklärt der Unternehmer gegenüber dem gutgläubigen Empfänger, daß die Zahlung auf dessen (vermeintlichen) Anspruch auf Gewinnbeteiligung geleistet werde, so ist der betreffende Betrag als Kapitalertrag und nicht als Kapitalrückzahlung anzusehen. Hat der Anleger die Wahl zwischen sofortiger Auszahlung und Wiederanlage der ihm in den Büchern gutgeschriebenen „Renditen” und entscheidet er sich im subjektiv eigenen Interesse für die Wiederanlage , so kann die darin liegende Schuldumschaffung (Novation) zu einem Zufluß der „Gewinnanteile” führen.
Dies gilt auch, wenn ein Anspruch des gutgläubigen Anlegers auf die ihm gutgeschriebenen „Gewinnanteile” gar nicht bestand, weil der Unternehmer die „Gewinne” nur vorspiegelte. Ein Zufluß im Fall der Novation setzt allerdings voraus, daß der Unternehmer bei entsprechender Wahl des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen „Renditen” fähig gewesen wäre. Zahlungsfähigkeit in diesem Sinne bedeutet das Imstandesein des Schuldners, seine sofort zu erfüllenden Verbindlichkeiten im wesentlichen tilgen zu können. Der Zufluß i. S. des § 11 EStG wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die im Wege der Novation wiederangelegten „Renditen” später uneinbringlich werden.
Die Berücksichtigung des auf den typischen stillen Gesellschafter entfallenden Verlustanteils als Werbungskosten setzt voraus, daß der Verlustanteil im Jahresabschluß des Unternehmens festgestellt oder vom Finanzamt geschätzt worden und im Streitjahr von der Kapitaleinlage des stillen Gesellschafters abgebucht worden ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 22.07.1997, VIII R 12/96
und VIII R 57/95
Anmerkung:
Die Anleger hatten der Ambros S. A. gegen hohe Erfolgsbeteiligung (70 bzw. 80%) zu spekulativen Termingeschäften an den internationalen Börsen Geldbeträge i. H. v. insgesamt über 800 Mio. DM überlassen. Nach Anfangsgewinnen erwirtschaftete Ambros hohe Verluste, die im Laufe der Zeit zur vollständigen Aufzehrung des Einlagekapitals der Anleger führten. Dennoch spiegelte Ambros den Anlegern stets hohe Gewinne vor. Sämtlichen Begehren der Anleger auf Auszahlung der gutgeschriebenen „Renditen” und gekündigten Kapitaleinlagen kam Ambros bis Oktober 1990 prompt nach. Sie bestritt diese Auszahlungen größtenteils mit zweckwidrig verwendetem Einlagekapital neu hinzugetretener Anleger. Anfang 1991 brach das „Schneeballsystem” zusammen.
Der BFH beurteilte die zwischen den Anlegern und der Ambros bestehenden Rechtsverhältnisse mit ausführlicher Begründung als typisch stille Gesellschaften. Mit dieser rechtlichen Einordnung war zwangsläufig der Haupteinwand der klagenden Anleger hinfällig geworden, zwischen ihnen und der Ambros hätten Treuhandverhältnisse bestanden mit der Folge, daß die von der Ambros betriebenen Geschäfte und deren Ergebnisse den Anlegern als Treugeber unmittelbar zuzurechnen seien und bei diesen unter keine der sieben Einkunftsarten des EStG fielen. Abgesehen davon scheitert m. E. das Vorliegen von Treuhandverhältnissen und die unmittelbare Zurechnung der von der Ambros getätigten Geschäfte bei den Anlegern daran, daß die Anleger der Ambros in bezug auf die getätigten Geschäfte keine Weisungen erteilen konnten und damit nicht – wie es jedoch für die Verwirklichung des Einkünfteerzielungstatbestands i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 EStG geboten wäre – die rechtliche oder tatsächliche Herrschaft („Dispositionsbefugnis”) über die einkünfterelevante Leistungsbeziehung ausübten. Die Ambros konnte mit dem Kapital ihrer Anleger weitestgehend „frei schalten und walten”.
Der typisch stille Gesellschafter kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH laufende Verluste aus seiner Beteiligung als Werbungskosten geltend machen. Die Ambros-Anleger waren entsprechend den getroffenen Abreden bis zur Höhe ihrer Kapitaleinlagen an den (laufenden) Verlusten beteiligt. Wurden oder werden daher auf der Ebene des Ambros-Unternehmens laufende Verluste festgestellt oder vom Finanzamt geschätzt (bloße „O”-Schätzungen würden allerdings nicht ausreichen) und die auf die Anleger entfallenden Verlustanteile von deren Einlagen tatsächlich abgebucht , so können die Anleger diese Verlustanteile im Jahr der Abbuchung von d...