Die Richtlinie (EU) 2017/1371 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtetem Betrug (Betrugsbekämpfungsrichtlinie) wurde am 5.7.2017 angenommen. Für die durch diese gebundenen Mitgliedstaaten ersetzt die Betrugsbekämpfungsrichtlinie das Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der EG von 1995 und die dazugehörigen Protokolle (Betrugsbekämpfungsübereinkommen).
Die Betrugsbekämpfungsrichtlinie wurde auf der Grundlage von Art. 83 Abs. 2 AEUV erlassen und ist somit Teil der Rechtsinstrumente des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Sie ist auch Teil der allgemeinen Betrugsbekämpfungsstrategie der Kommission. Darüber hinaus besteht eine starke Wechselbeziehung zwischen dem Bekenntnis zu den in Art. 2 EUV verankerten gemeinsamen Werten der EU und dem Schutz der finanziellen Interessen der EU. Letzteres setzt beispielsweise voraus, dass die Justizbehörden ihre Aufgaben unabhängig und ohne Einmischung der Exekutive wahrnehmen können.
Gemeinsame Mindeststandards für Strafrecht: Die Betrugsbekämpfungsrichtlinie legt gemeinsame Mindeststandards für das Strafrecht der Mitgliedstaaten fest. Diese gemeinsamen Normen sollen die finanziellen Interessen der EU schützen, indem die Definitionen, Strafen und Verjährungsfristen für bestimmte, gegen diese Interessen gerichtete Straftaten harmonisiert werden. Die Harmonisierung wirkt sich auch auf den Umfang der strafrechtlichen Ermittlung und Verfolgung durch die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) aus, da die materielle Befugnis der EUStA unter Bezugnahme auf die Betrugsbekämpfungsrichtlinie in ihrer Umsetzung in nationales Recht festgelegt wird.
Da die Betrugsbekämpfungsrichtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, Straftaten im Zusammenhang mit den Einnahmen und Ausgaben des EU-Haushalts unter Strafe zu stellen, betrifft ihre Umsetzung nicht nur die Eigenmittel der EU (Zölle und Mehrwertsteuer), sondern auch die wesentlichen Politikbereiche, in denen die EU-Ausgaben zur Erreichung dieser politischen Ziele verwendet werden. Eine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie ist daher nicht nur für den Schutz des EU-Haushalts, sondern auch für alle Politikbereiche der EU, für die EU-Mittel verwendet werden, von entscheidender Bedeutung und ist insbesondere im Zusammenhang mit der Aufbau- und Resilienzfazilität von Relevanz.
Die Straftaten i.S.v. Art. 3 und 4 RL (EU) 2017/1371 (Betrugsstraftaten) sind:
- Betrug, einschließlich grenzüberschreitenden MwSt-Betrugs mit einem Gesamtschadensvolumen von mindestens 10 Mio. EUR (Art. 2 Abs. 2 RL (EU) 2017/1371),
- Geldwäsche,
- Bestechung und Bestechlichkeit sowie
- missbräuchliche Verwendung.
Am 16.9.2022 hat die Kommission den zweiten Bericht an das EP und den Rat über die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2017/1371 des EP und des Rates vom 5.7.2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der EU gerichtetem Betrug vorgelegt (vgl. https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-12540-2022-INIT/de/pdf). Gemäß Art. 18 Abs. 4 RL (EU) 2017/1371 nimmt die Kommission diesen zweiten Bericht über die Umsetzung an, um im Hinblick auf das allgemeine Ziel der Verbesserung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU u.a. zu bewerten, ob der in Art. 2 Abs. 2 RL (EU) 2017/1371 genannte MwSt-Schwellenbetrag angemessen ist.
In Art. 2 Abs. 2 RL (EU) 2017/1371 ist ein Schwellenbetrag für die Anwendbarkeit der Betrugsbekämpfungsrichtlinie auf Einnahmen aus MwSt-Eigenmitteln festgelegt. Die Betrugsbekämpfungsrichtlinie findet nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen das gemeinsame MwSt-System Anwendung. Verstöße gegen das gemeinsame MwSt-System sind als schwerwiegend anzusehen, wenn
- sie vorsätzlich begangene betrügerische Handlungen oder Unterlassungen gem. Art. 3 Abs. 2 Buchst. d RL (EU) 2017/1371 betreffen,
- sie mit dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr EU-Mitgliedstaaten verbunden sind und
- sich der Gesamtschaden auf mindestens 10 Mio. EUR beläuft.
Dieser Schwellenbetrag zielt vor allem darauf ab, Karussellbetrug, "Missing-Trader-MwSt-Betrug" und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung begangenen MwSt-Betrug zu erfassen; aus diesen drei Betrugstatbeständen erwächst eine ernsthafte Bedrohung für das gemeinsame MwSt-System und somit den EU-Haushalt.
Die Kommission führt aus, dass die Ansätze der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Höhe des durch grenzüberschreitenden MwSt-Betrug verursachten Schadens sich wie folgt kategorisieren lassen:
- Mitgliedstaaten, die einen Schaden von mindestens 10 Mio. EUR vorschreiben,
- Mitgliedstaaten, die einen Schwellenbetrag von weniger als 10 Mio. EUR vorschreiben,
- Mitgliedstaaten, die keinen finanziellen Schwellenbetrag festlegen.
Aufgrund des Schwellenbetrags von 10 Mio. EUR falle eine erhebliche Zahl betrügerischer Handlungen, die das Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffen, aber einen Gesamtschaden von weniger als 10 Mio. EUR umfassen (z.B. die meisten Fälle von Tabakschmuggel und Dieselpanscherei), nicht unter die Bet...