Gunnar Teich, Jan-Michael Schönebeck
Um trotz aller Komplexität ein aussagekräftiges Bild zur Einordnung des Digitalisierungsgrades eines Unternehmens zu erhalten, ist es erforderlich, Kriterien aus mehreren relevanten Unternehmensdimensionen heranzuziehen. Eine breit gefächerte Analyse hat deshalb einen hohen Stellenwert, weil eine Bewertung zu kurz greift, wenn sie z. B. nur das Vorhandensein oder die grundsätzliche Nutzung von IT-Tools identifiziert.
Viele unterschiedliche Institutionen stellen daher für eine ganzheitliche Einordnung entsprechende Bewertungsmodelle zur Verfügung, die alle einen jeweils unterschiedlichen Fokus haben. Das Horváth Digital Transformation Framework hat sich in den unterschiedlichen Beratungsprojekten als generisches und pragmatisches Bewertungsmodell erwiesen (siehe Abb. 3). Im weiteren Verlauf werden für eine detailliertere Gesamtbewertung einzelne Kriterien aus dem Framework aufgezeigt, die insbesondere für die Strukturierung und Umsetzung von digitalen Transformationen relevant sind.
Abb. 3: Das Horváth Digital Transformation Framework
4.1 Performance Management: Steuerungslogik, insb. Konzernsteuerung
Die Heterogenität bzw. Harmonisierung der Systemlandschaft auf der Ebene der Gruppe sowie innerhalb der einzelnen Organisationseinheiten hängt vom Führungsanspruch des Konzerns ab. Die Übereinstimmung zwischen der Digitalisierungsambition und dem Führungsanspruch ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung der Digitalisierungsroadmap und determiniert zudem den Umfang der Begleitung durch das Change-Management. Unterschiedliche Ausprägungen für den Führungsanspruch sind nachfolgend exemplarisch dargestellt (siehe Abb. 4):
- Finanzholding: Die Muttergesellschaft zeichnet sich durch ihr rein finanzielles Interesse aus. Somit ist sie in der Rolle, ausschließlich aggregierte finanzielle und nicht-finanzielle Informationen von den strategischen Geschäftseinheiten zu empfangen. Folglich kann sie für den gesamten Konzern eine ganzheitliche Digitalisierungsambition formulieren. Die Bereiche verantworten damit sowohl die Konzeption und Umsetzung der Digitalisierung als auch die Erfüllung der Digitalisierungsambition.
- Management-Holding: Als Mischform zwischen Finanz und operativer Holding ist der Übergang fließend statt trennscharf abgegrenzt. Die Muttergesellschaft kann einerseits eine zentrale Governance zur Definition von Standards und Übergabepunkten zwischen unterschiedlichen Systemen abdecken, die die strategischen Geschäftseinheiten eigenverantwortlich umsetzen. Andererseits kann es die übergreifende Koordination von Synergien zwischen Digitalisierungsinitiativen der einzelnen strategischen Geschäftseinheiten umfassen. In beiden Fällen ist es das Ziel, Datenflüsse innerhalb der heterogenen Systemlandschaft zu lenken, um granulare Business Insights zu generieren. Der Abstimmungsumfang und die entsprechend gewährten Freiheiten für die strategischen Geschäftseinheiten orientieren sich daran, ob das Interesse der Muttergesellschaft auf finanzieller oder operativer Ebene liegt.
- Operative Holding/Keine Holding: Die Homogenität der Geschäftsmodelle innerhalb des Konzerns erlaubt es, die unterschiedlichen IT-Systeme (ERP, CRM, PLM, HR, etc.) über integrierte Schnittstellen bis hin zu einer One-Vendor-Architektur zu harmonisieren (End-to-End Digitalisierung).
Abb. 4: Illustration Steuerungsmodell und Führungsanspruch [blauer Rahmen]
4.2 Organisation und Prozesse: End-to-End (E2E) Prozesse
Steuerungsrelevante Ist-Daten, die finanziell und nicht-finanziell, intern und extern sowie strukturiert und unstrukturiert gesammelt werden, sind notwendig, um den Status Quo im Unternehmen zu verfolgen, Annahmen über Ursache-Wirkung-Beziehungen zu treffen, zukünftige Entscheidungen mithilfe von Informationen zu fundieren und die Effektivität und Effizienz zu verbessern (siehe Abb. 5). Hier gilt es, zwei Ansätze voneinander zu unterscheiden:
- Reine Prozessdigitalisierung: Die jeweiligen Schritte bisher analoger Prozesse werden unmittelbar digitalisiert und es wird auf Optimierungen verzichtet (z. B. automatisiertes Einscannen eingehender Rechnungen bis zur Zahlungsfreigabe durch einen Entscheider)
- Digitale Transformation: Bestehende End-to-End Prozesse werden auf ihre Zweckerfüllung hin überprüft, Prozessschritte analysiert, verschlankt und automatisiert sowie Informationsflüsse systemübergreifend anhand definierter Übergabepunkte gelenkt
Abb. 5: Zusammenhang End-to-End Prozesse und Systemlandschaft
Zur Bestimmung der Prozessqualität für entsprechende Optimierungen sind neben professionellen manuellen Bewertungen zunehmend Process Mining-Tools die Mittel der Wahl.
4.3 Mindset und Skills: People & Culture
Die digitale Transformation führt zu neuen Anforderungen, einerseits an die Mitarbeitenden selbst und andererseits an die Personalstrategie und ihre Umsetzung durch die People & Culture-Funktion (ehemals HR-Funktion). Diese Anforderungen entstehen dadurch, dass durch das angestrebte hohe Datenaufkommen die Aufgabenbereiche der Mitarbeitenden neu strukturiert und entsprechende Rollenprofile festgelegt werden müssen. Diese Rollen umfassen:
- übergreifende und professionalisierte Prozess und Data Governanc...