Bevor die Konsequenzen des Urteils vom 28.10.2021 aufgezeigt werden, soll kurz dargestellt werden, wie die Sollbesteuerung in früheren Entscheidungen der deutschen FG sowie des EuGH beurteilt worden ist.
1. BFH v. 24.10.2013 – V R 31/12
Sicherheitseinbehalte: Schon in seinem Urteil vom 24.10.2013 ging der BFH auf die Probleme der Sollbesteuerung ein. Es ging um den Steuerpflichtigen B, der Bauleistungen erbrachte. Die Auftraggeber behielten von den vereinbarten Entgelten anteilige Beträge (5 % bis 10 % der Auftragssumme) als Sicherheit ein. Die Auszahlung dieser Sicherheitseinbehalte erfolgte, sofern sie nicht für die Beseitigung von Baumängeln verwendet wurden, nach zwei oder fünf Jahren. Streitig war ob B im Zeitpunkt des Abschlusses seiner Bauleistung (Leistungszeitpunkt) Mehrwertsteuer auch auf die Beträge der Sicherheitseinbehalte schuldete oder ob die Steuer insoweit erst später zu zahlen war.
Steuerentstehung im Leistungszeitpunkt ...: Für den BFH war klar, dass die Steuer vollumfänglich gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Leistungserbringung entstanden war. Es sei verfassungsgemäß, wenn die Steuer im Rahmen der Sollversteuerung vorzufinanzieren sei.
... aber Korrektur, wenn unverhältnismäßig: Wenn sich aber, so der BFH weiter, die Sollbesteuerung im Einzelfall als unverhältnismäßig erweise, sei dem durch die Auslegung des Berichtigungstatbestandes der Uneinbringlichkeit (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) Rechnung zu tragen. Bei dieser Auslegung sei Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL zu beachten, der "eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung ... nach der Bewirkung des Umsatzes ... unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen‘ anordnet."
Daher Berichtigung wg. Uneinbringlichkeit im Leistungszeitpunkt: Uneinbringlich sei ein Entgelt, wenn damit zu rechnen sei, dass der Leistende die Entgeltforderung zumindest auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen könne. Dies gelte (nicht nur, wie in Art. 90 MwStSystRL vorgesehen, wenn sich die Bemessungsgrundlage nachträglich ändere, sondern) erst recht, wenn bereits im Leistungszeitpunkt klar sei, dass das Entgelt für einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren nicht vereinnahmt werden könne.
Insofern konnte B die Steuer auf den Anteil der vom Auftraggeber einbehaltenen Entgelte zunächst berichtigen und schuldete sie erst bei Vereinnahmung (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG).
2. Nds. FG. v. 18.8.2016 – 5 K 288/15
Steuer, wenn Entgelt nicht fällig und aufschiebend bedingt: Diese Grundsätze übernahm das Niedersächsische FG in seinem Urteil vom 18.8.2016. Es ging im zu entscheidenden Fall um den Steuerpflichtigen V, der als Spielervermittler im bezahlten Fußball tätig war. Er erhielt bei Vermittlung von Profifußballspielern Provisionszahlungen von den Vereinen, bei denen die vermittelten Spieler zukünftig spielten. Die Provisionen wurden dafür gezahlt, dass der jeweilige Spieler einen Arbeitsvertrag beim neuen Verein unterschrieb (das war der geschuldete Leistungserfolg). Das FG hatte darüber zu entscheiden, wann die Steuer auf die Provisionen in dem Fall zu zahlen war, in dem V Spielerverträge im August 2012 vermittelt hatte, die Provisionen (zzgl. Mehrwertsteuer) aber über einen Zeitraum von drei Jahren erhalten sollte und zwar anteilig jeweils zum 1.9. und zum 1.3. eines Jahres, beginnend am 1.9.2012 (dem Beginn der Laufzeit des Spielervertrages), wenn außerdem Voraussetzung war, dass zum jeweiligen Zeitpunkt der Spielervertrag fortbestand.
BFH-Grundsätze anwendbar: Das FG bestätigte, dass die Vermittlungsleistung des V mit dem Abschluss des Spielervertrags vollständig erbracht war. Damit sei auch gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG der Steueranspruch in Bezug auf sämtliche in 2012 – 2015 zu zahlende Provisionen im Jahr 2012 entstanden. Das FG hielt V aber insoweit, als die Honorare erst mehr als zwei Jahre nach der Vermittlungsleistung vereinnahmt werden konnten (oder zumindest mit einer solchen späten Vereinnahmung zu rechnen war), in Anwendung der Grundsätze des BFH-Urteils vom 24.10.2013 gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG für berechtigt, die Steuer im Jahr 2012 zu berichtigen.