Verkehrswertorientierte und modellkonforme Gesetzesauslegung
[Ohne Titel]
Dipl.-Finw. (FH) Robert Marquardt / Dipl.-Ing. (FH) Reinhard Miethe
Im Gegensatz zum Grund und Boden unterliegen Gebäude einer Abnutzung, die Einfluss auf die Bewertung nimmt. Die Restnutzungsdauer eines Gebäudes ist damit von zentraler Bedeutung für eine verkehrswertnahe Grundbesitzbewertung. Der Beitrag erläutert zunächst die Bedeutung der Restnutzungsdauer für das Ertragswertverfahren und das Sachwertverfahren. Ausgehend vom verfassungsrechtlich vorgegebenen Bewertungsziel "gemeiner Wert" und dem in § 177 Abs. 3 BewG verankerten Grundsatz der Modellkonformität bei der Nutzung der Grundstücksmarktdaten der Gutachterausschüsse wird erläutert, wie die Restnutzungsdauer bei der Ermittlung von Liegenschaftszinssätzen und Sachwertfaktoren von den Gutachterausschüssen berücksichtigt wird. Anschließend wird die Auffassung der obersten Finanzbehörden zur Berücksichtigung von Modernisierungsmaßnahmen gewürdigt.
I. Einführung
Gebäude haben eine endliche Nutzungsdauer. Im Gegensatz zum Grund und Boden unterliegen sie einer Abnutzung. Der Wert eines bebauten Grundstücks hängt stark davon ab, "wie viel Zeit den darauf stehenden Gebäuden noch bleibt". Die Restnutzungsdauer eines Gebäudes ist somit von zentraler Bedeutung für eine verkehrswertnahe Grundbesitzbewertung.
Zunächst wird die Bedeutung der Restnutzungsdauer für das Ertragswertverfahren und das Sachwertverfahren erläutert. Ausgehend vom verfassungsrechtlich vorgegebenen Bewertungsziel "gemeiner Wert" und dem in § 177 Abs. 3 BewG verankerten Grundsatz der Modellkonformität bei der Nutzung der Grundstücksmarktdaten der Gutachterausschüsse wird erläutert, wie die Restnutzungsdauer bei der Ermittlung von Liegenschaftszinssätzen und Sachwertfaktoren von den Gutachterausschüssen berücksichtigt wird. Anschließend wird die Auffassung der obersten Finanzbehörden der Länder zur Berücksichtigung von Modernisierungsmaßnahmen i.R.d. Grundbesitzbewertung u.a. vor dem Hintergrund einer modellkonformen und am gemeinen Wert orientierten Auslegung der Regelungen des BewG gewürdigt.
II. Bedeutung der Restnutzungsdauer i.R.d. Grundbesitzbewertung
Die Grundstückswertermittlung ist zukunftsgewandt. Der Wert eines Gebäudes hängt maßgeblich davon ab, "wie viel Zeit dem aufstehenden Gebäude noch bleibt".
Im Ertragswertverfahren setzt sich der Ertragswert eines Grundstücks aus Bodenwert und Gebäudeertragswert zusammen (§ 184 Abs. 3 Satz 1 BewG). Um den Gebäudeertragswert zu berechnen, wird der Gebäudereinertrag am Bewertungsstichtag mittels Vervielfältiger (Anlage 21 BewG) über die Restnutzungsdauer des Gebäudes kapitalisiert (§ 185 Abs. 3 Satz 1 BewG).
Der anzuwendende Vervielfältiger hängt vom Liegenschaftszinssatz und der Restnutzungsdauer ab:
Die Ertragswerte von Gebäuden mit kurzen Restnutzungsdauern werden stärker von einer fehlerhaften Bestimmung der Restnutzungsdauer beeinflusst als die von Gebäuden mit langen Restnutzungsdauern. Eine möglichst genaue Bestimmung der Restnutzungsdauer ist daher essenziell für eine verkehrswertnahe Ertragswertermittlung nach den §§ 184 bis 188 BewG.
Im Sachwertverfahren wird der vorläufige Sachwert mit einer Wertzahl multipliziert (§ 189 Abs. 3 Satz 2 BewG). Der vorläufige Sachwert setzt sich grundsätzlich aus dem Bodenwert und dem Gebäudesachwert zusammen (§ 189 Abs. 3 Satz 1 BewG). Im Sachwertverfahren wirkt sich die Restnutzungsdauer über den Alterswertminderungsfaktor (§ 190 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 6 BewG) auf den Gebäudesachwert und den vorläufigen Sachwert aus und damit auch auf die Wertzahl der Anlage 25 BewG oder den Sachwertfaktor des Gutachterausschusses und den Grundbesitzwert. Der Alterswertminderungsfaktor entspricht dem Verhältnis der Restnutzungsdauer des Gebäudes am Bewertungsstichtag zur Gesamtnutzungsdauer.
Anders als die Wertzahlen der Anlage 25 BewG hängen die Sachwertfaktoren einiger Gutachterausschüsse unmittelbar von der Restnutzungsdauer der Gebäude ab, z.B. in Bonn (Grundstücksmarktbericht 2024, S. 50) und Münster (Grundstücksmarktbericht 2024, S. 46). Hier ist eine genaue Bestimmung der Restnutzungsdauer besonders wichtig für eine verkehrswertnahe Sachwertermittlung nach den §§ 189 bis 191 BewG.
III. Gemeiner Wert und Modellkonformität
Die Grundbesitzbewertung des Grundvermögens zielt darauf ab, die Bewertungsobjekte mit ihrem gemeinen Wert zu erfassen. Das BewG wurde daher in enger Anlehnung an das BauGB und die ImmoWertV gefasst. Zur Marktanpassung ist auf geeignete Daten der Gutachterausschüsse zurückzugreifen. Die Eignung richtet sich nach dem Grundsatz der Modellkonformität.
1. Bewertungsziel "gemeiner Wert" und Ausgestaltung des BewG
Das Bewertungsziel in der Grundbesitzbewertung, der gemeine Wert gem. § 9 BewG, ist verfassungsrechtlich vorgegeben (BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192 Ls. 2. a) = ErbStB 2007, 64 [Heinrichshofen]) und gesetzlich in § 177 Abs. 1 BewG verankert.
Der gemeine Wert i.S.d. ...