Leitsatz
1. Eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist keine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung i.S.d. § 302 Nr. 1 InsO.
2. § 370 AO ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB.
Normenkette
§ 251 Abs. 3 AO, § 302 Nr. 1, § 290 Abs. 1, § 184, § 185 InsO, § 823 Abs. 2, § 826 BGB, § 850f ZPO
Sachverhalt
Das FA hatte im Insolvenzverfahren eines Steuerpflichtigen von diesem hinterzogene Steuern als Deliktsforderungen zur Tabelle angemeldet. Als der Verwalter ebenso wie der Steuerpflichtige selbst dem widersprachen, erließ das FA einen Feststellungsbescheid, in dem es die angemeldeten Forderungen als solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S.v. § 302 Nr. 1 InsO auswies.
Entscheidung
Der BFH urteilt – wie zuvor das FG (FG Hamburg, Urteil vom 02.02.2007, 2 K 106/06, Haufe-Index 1724760, EFG 2007, 1309): Der Feststellungsbescheid ist rechtswidrig. Die hinterzogenen Steuern sind keine Deliktsforderungen.
Hinweis
Von der Restschuldbefreiung werden Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht erfasst, wenn der Gläubiger die von ihm geltend gemachte Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrunds nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hat (§ 302 Nr. 1 InsO). Eine Begriffsbestimmung der unerlaubten Handlung enthält die InsO nicht; jedoch liegt auf der Hand, dass diesem Begriff Forderungen nach § 826 BGB unterfallen. In diesem Sinn hat der BFH den Begriff, der sich genauso in § 850f Abs. 2 ZPO findet, verstanden. Zu dieser Vorschrift hat der BFH entschieden, dass das FA keinen Anspruch nach § 826 BGB i.V.m. § 370 AO auf hinterzogene Steuern habe (BFH, Urteil vom 24.10.1996, VII R 113/94, Haufe-Index 65841).
Diese Entscheidung hat die Entscheidung im Besprechungsfall praktisch vorweggenommen; denn man kann die hinterzogenen Steuern in der Einzelzwangsvollstreckung (Beschränkung des Pfändungsfreibetrags) schwerlich anders als in der Restschuldbefreiung behandeln, nachdem sich der Gesetzeswortlaut in beiden vorgenannten Vorschriften gleicht und auch Sinn oder Zweck der Regelungen keine unterschiedliche Auslegung gebieten.
Der BFH kann sich für seine vom (zivilistischen) Schrifttum durchweg geteilte Rechtsansicht auf ein schwaches und ein gutes Argument stützen:
Steuer- und Haftungsansprüche sind eigenständige, öffentlich-rechtliche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO); warum sie "deshalb", wie der BFH meint, nicht (auch) Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung sein könnten und dann wegen dieses doppelten Rechtsgrunds von den genannten Vorschriften mit erfasst würden, bleibt dunkel.
Das gute Argument: § 826 BGB setzt die Verletzung eines sog. Schutzgesetzes zugunsten eines bestimmten Dritten voraus und § 370 AO ist nach allgemeiner Auffassung kein solches Schutzgesetz; denn er will nicht den Fiskus gleichsam als Rechtssubjekt schützen, sondern lässt sich nur das Interesse der Allgemeinheit angelegen sein (worüber man vielleicht streiten könnte).
Das so begründete Entscheidungsergebnis ist gleichwohl unbefriedigend und auch der BFH findet für es keine schlüssige Rechtfertigung. Denn der Zweck der Einschränkung der Restschuldbefreiung in § 302 Nr. 1 InsO ist es, den unredlichen Schuldner nicht zu "belohnen". Hat so gesehen der kriminelle Schuldner wie ein Steuerhinterzieher eine Restschuldbefreiung verdient? Nur der Gesetzgeber könnte aber hier wohl eingreifen, hat dies aber offenbar im Rahmen der anstehenden InsO-Novelle nur in der Weise vor, dass dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt werden soll, wenn er zum Nachteil eines Insolvenzgläubigers eine dessen Vermögen beeinträchtigende Straftat begangen hat und dieser einen entsprechenden Versagungsantrag stellt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.08.2008, VII R 6/07