Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) setzt grundsätzlich die Löschung einer zugunsten des Ersterwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus.
2. Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist allerdings nur dann ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber bei der Rückgängigmachung des Grundstückserwerbs den aufgrund der Auflassungsvormerkung bestehenden Anschein einer Rechtsposition in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat.
3. Ist die Ersterwerberin eine Kapitalgesellschaft, muss sie sich die Interessen ihrer Gesellschafter beziehungsweise Geschäftsführer zurechnen lassen.
Normenkette
§ 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG
Sachverhalt
Die Klägerin – eine GmbH – erwarb mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 5.7.2016 Grundbesitz zu einem Kaufpreis i.H.v. 6.330.000 EUR. Gesellschafter der Klägerin waren zu gleichen Teilen die F‐GmbH und die E‐GmbH. Gesellschafter der F‐GmbH waren zu gleichen Teilen die Herren H und I. Gesellschafter der E‐GmbH war Herr G. Zu alleinvertretungsberechtigten und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiten Geschäftsführern der Klägerin waren die Herren G und H bestellt.
Bei dem Erwerb des Grundstücks wurde zugunsten der Klägerin eine Auflassungsvormerkung bewilligt und im Grundbuch eingetragen. Mit Bescheid vom 25.8.2016 setzte das FA gegen die Klägerin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung Grunderwerbsteuer i.H.v. 379.800 EUR (6.330.000 EUR × 6 %) fest.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 9.5.2017 schloss die Klägerin – vertreten durch ihre einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer G und H – mit der Verkäuferin einen Vertrag über die Aufhebung des Grundstückskaufvertrags vom 5.7.2016. Unter § 2 des Aufhebungsvertrags wurde die seinerzeit erklärte Auflassung aufgehoben und die Verkäuferin verpflichtet, den bereits gezahlten Kaufpreis an die Klägerin zurückzuzahlen. Unter § 3 des Aufhebungsvertrags beantragten die Vertragsbeteiligten mit der Bewilligung der Klägerin die Löschung der Auflassungsvormerkung. Unter § 6 des Aufhebungsvertrags wurde die Notarin beauftragt, den Aufhebungsvertrag dem Grundbuchamt und dem FA erst vorzulegen, sobald ihr die Rückzahlung des Kaufpreises an die Klägerin nachgewiesen worden sei. Eine Rückzahlung des Kaufpreises erfolgte nicht.
Mit notariell beurkundeten Kaufverträgen vom 29.6.2017 wurden die ursprünglich von der Klägerin erworbenen Grundstücke durch G und H von der Verkäuferin erworben. Der Kaufpreis betrug insgesamt 6.330.000 EUR und wurde seitens der Neuerwerber durch Zahlung unmittelbar an die Klägerin erbracht.
Mit Schreiben vom 15.1.2018 wurde die Löschung der zugunsten der Klägerin eingetragenen Auflassungsvormerkung beim Grundbuchamt durch die Notarin beantragt. Die Löschung der Auflassungsvormerkung im Grundbuch erfolgte am 18.6.2018.
Am 9.6.2017 beantragte die Klägerin beim FA die Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung vom 25.8.2016 nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Das FA lehnte dies ab. Einspruch und Klage (Hessisches FG, Urteil vom 22.10.2020, 5 K 35/20, Haufe-Index 14310630) hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Das FG war zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung für den Grundstückserwerb der Klägerin nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt waren.
Hinweis
1. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird. Hierbei sind jedoch einige Fallstricke zu beachten, die sich nicht direkt aus dem Wortlaut der Vorschrift, sondern aus der Rechtsprechung des BFH ergeben.
2. Voraussetzung für die Anwendung des § 16 GrEStG ist, dass die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt. Es darf für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung nicht die Möglichkeit der Verwertung aus einer verbleibenden Rechtsposition bestehen.
3. Dies ist jedoch der Fall, solange zugunsten des Erwerbers eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen ist. Denn diese beeinträchtigt die Verkehrsfähigkeit eines Grundstücks unabhängig von dem Nichtmehrbestehen des zivilrechtlichen Übereignungsanspruchs.
4. Dies gilt auch dann, wenn die Löschungsbewilligung nach § 19 GBO bereits erteilt worden ist, aber der Antrag auf Löschung schuldrechtlich noch von der Rückzahlung des ursprünglich gezahlten Kaufpreises abhängig ist. In diesem Fall kann der Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber noch nicht frei über das Grundstück verfügen.
5. Unerheblich ist nach Auffassung des BFH, ob der Veräußerer das – nach Erteilung der Löschungsbewilligung in Bezug auf die Auflassungsvormerkung – unrichtig gewordene Grundbuch – unter Mi...