Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Für die zukünftigen Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen, zu der das Unternehmen gem. § 257 HGB und § 147 AO verpflichtet ist, ist im Jahresabschluss eine Rückstellung zu bilden.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 EStG , § 147 AO , § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB , § 257 HGB
Sachverhalt
Die Klägerin betrieb in gemieteten Räumen einen umfangreichen Handel mit Kfz-Ersatzteilen und Zubehör, bei dem eine große Anzahl von Belegen und anderen aufzubewahrenden Unterlagen anfielen. Die Klägerin erledigte ihre Buchführung selbst; zur Aufbewahrung der Unterlagen nutzte sie einen ihrer betrieblichen Räume.
Für die ihr durch die handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Aufbewahrungsverpflichtungen entstehenden Kosten bildete sie erstmals im Streitjahr 1993 sowohl in der Handelsbilanz als auch in der Steuerbilanz eine Rückstellung. Das FA vertrat die Ansicht, dass diese Rückstellung in der Steuerbilanz unzulässig sei. Das FG wies die Klage als unbegründet ab (EFG 2001, 1357).
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache zur überprüfung des Rückstellungsbetrags an das FG zurück. Die Voraussetzungen für die Bildung von Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen seien auch bei den handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Verpflichtungen zur Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen erfüllt. Die Verpflichtungen seien vergangenheitsorientiert, hinreichend konkretisiert, zeitnah zum Geschäftsjahr entstanden und hinreichend sanktionsbewehrt. Es sei nicht schädlich, dass sie durch Abschluss eines schwebenden Geschäfts (Mietvertrag) erfüllt würden. Das betriebliche Interesse an der Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen trete hinter dem öffentlichen Interesse zurück.
Die Verpflichtung, die eine Sachleistungsverpflichtung darstelle, sei mit den Vollkosten anzusetzen. Zur Ermittlung des voraussichtlichen Erfüllungsbetrags sei der Sachverhalt noch weiter aufzuklären.
Hinweis
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH können Rückstellungen auch für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen gebildet werden. Allerdings bewegt man sich hier im Grenzbereich zwischen – steuerrechtlich zulässigen – Rückstellungen für Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 HGB) und – steuerrechtlich grundsätzlich nicht zulässigen – Aufwandsrückstellungen (§ 249 Abs. 2 HGB). Es ist oft nicht einfach, hier die Grenze zu ziehen.
Im Streitfall waren die beiden Bereiche bereits weitgehend abgesteckt. Denn der BFH hatte eine Rückstellungspflicht bereits für die Verpflichtung zur Prüfung des Jahresabschlusses (Urteil vom 23.7.1980, I R 28/77, BStBl II 1981, 62) und für die Verpflichtung zur Abgabe von Erklärungen für Betriebssteuern (Urteil vom 24.11.1983, IV R 22/81, BStBl II 1984, 301) bejaht. In diesen Bereich der vergangenheitsbezogenen Buchführungs- und Erklärungspflichten gehört auch die hier zu beurteilende Verpflichtung zur Aufbewahrung der Buchführungsunterlagen.
Besondere Probleme stellten sich jedoch
- bei der Abgrenzung der Eigeninteressen des Unternehmens ( Obliegenheiten, die lediglich zu Aufwandsrückstellungen führen) von den öffentlichen Interessen ( Fremdverpflichtungen, die zur Rückstellung für Verbindlichkeiten berechtigen) und
- bei der Bestimmung der Art und des Umfangs der öffentliche Verpflichtungen kennzeichnenden Sanktionen.
Beide Fragen beantwortet der BFH relativ großzügig: Das Eigeninteresse tritt selbst dann zurück, wenn es sich mit dem öffentlichen Interesse weitgehend deckt. Eine hinreichende Sanktion liegt schon dann vor, wenn sie Teil eines Normengefüges (der Buchführungs- und Erklärungspflichten) ist, das jedem Steuerpflichtigen vermittelt, wie er sich als ordentlicher Kaufmann zu verhalten hat. Es ist aber zu beachten, dass sich aus der Rückstellungsfähigkeit der Nachweis-, Prüfungs- und Erklärungsverpflichtungen keine weitergehenden Schlüsse auf die steuerrechtliche Beurteilung anderer öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen ziehen lassen. Es kommen hier zu viele und zu unterschiedliche Fallgruppen in Betracht (zur gebotenen Differenzierung nach Fallgruppen ausführlich Herzig, DB 1990, 1341 ff., 1347 ff.).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.8.2002, VIII R 30/01