OFD München, Verfügung v. 12.4.2002, S 2137 – 49 St 41/42
Auf die Frage, ob die drohende Inanspruchnahme aus einer aus betrieblichen Gründen übernommenen Bürgschaft oder aus einer vergleichbaren vertraglichen Garantie nach wie vor noch zu einer Rückstellungsbildung in der Steuerbilanz führt, nehme ich in Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der übrigen Länder wie folgt Stellung:
Für die Beantwortung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, ob eine solche Rückstellung
- dem Bereich der Verbindlichkeitsrückstellungen oder dem Bereich der Drohverlustrückstellungen § 5 Abs. 4a EStG) zuzuordnen ist und
- wenn sie dem Bereich der Verbindlichkeitsrückstellungen zuzuordnen ist, ob die Vorschrift des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG einer Rückstellungsbildung entgegensteht.
A. Wesen einer Bürgschaft (bzw. eines Garantievertrags)
Die Bürgschaft selbst ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, in dem sich der Bürge (oftmals eine Bank) gegenüber dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten (z.B. Bankkunde) einzustehen § 765 Abs. 1 BGB). Daneben existiert in der Regel noch ein weiterer Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Dritten (= Hauptschuldner), in dem der Bürge – meist gegen Entgelt (Bürgschafts- oder Avalprovision) – den Abschluss des Bürgschaftsvertrags zusagt.
Es bestehen also regelmäßig zwei Rechtsbeziehungen und zwar
- ein einseitig verpflichtender Bürgschaftsvertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger und
- ein Geschäftsbesorgungsvertrag § 675 BGB) zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner.
Mit Befriedigung des Gläubigers durch den Bürgen geht die Hauptforderung des Gläubigers kraft Gesetzes auf den Bürgen über § 774 BGB).
Hat sich der Bürge – was regelmäßig der Fall ist – gegen Erhalt eines Entgelts verbürgt, so besteht – wie oben ausgeführt – ein Geschäftsbesorgungsvertrag, im Übrigen kann ein Auftrag oder eine Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen. In allen Fällen entsteht bei Bürgschaftsleistung (im Innenverhältnis) ein Aufwendungsersatzanspruch des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner. Dieser Aufwendungsersatzanspruch tritt neben den gesetzlichen Forderungsübergang; der Bürge hat zivilrechtlich nach überwiegender Meinung die Wahl zwischen diesen beiden Ansprüchen (Palandt, BGB, § 774 RdNr. 4).
Beim Garantievertrag übernimmt der Garant die Haftung für einen bestimmten Erfolg oder die Gefahr bzw. den Schaden, der aus einem Rechtsverhältnis mit einem Dritten entstehen kann (z.B. Kreditsicherungsgarantie). Häufig lässt sich der Garant einen Anspruch auf Übertragung der Hauptforderung auf ihn vertraglich einräumen.
B. Bilanzsteuerrechtliche Beurteilung
Zu den aufgeworfenen Fragen vertrete ich folgende Auffassung:
1. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Bürgschaftsverpflichtung zu passivieren, wenn eine Inanspruchnahme des Bürgen droht (vorher ist die Verpflichtung nur unter der Bilanz auszuweisen, vgl. § 251 HGB). Die Passivierung führt insoweit zu einer Gewinnminderung, als der zu aktivierende Rückgriffsanspruch gegen den Hauptschuldner wegen Wertminderung abzuschreiben ist (BFH vom 19.3.1975, BStBl 1975 II S. 614, vom 24.7.1990, BFH/NV 1991 S. 588). In den Urteilsfällen konnte die Vorschrift des § 5 Abs. 4a EStG (Passivierungsverbot für Drohverlüstrückstellungen) noch keine Rolle spielen.
Im Übrigen kann hier dahingestellt bleiben, ob der BFH-Rechtsprechung insoweit noch zu folgen ist, dass bereits im Zeitpunkt der Passivierung der Verpflichtung die Rückgriffsforderung zu aktivieren ist, oder ob der Rückgriffsanspruch sich bei der Bewertung der Rückstellung mindernd auswirkt (offengelassen auch im BFH-Urteil vom 17.2.1993, BStBl 1993 II S. 437, Tz. 4 Buchst d).
2. Bürgschaftsverpflichtungen sind nicht den drohenden Verlusten aus schwebenden Geschäften zuzuordnen.
Nach § 5 Abs. 4a EStG dürfen Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften in den Steuerbilanzen für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.1996 enden, nicht (mehr) gebildet werden.
Schwebende Geschäfte sind gegenseitige auf Leistungsaustausch gerichtete Verträge i.S. der §§ 320 ff. BGB, die hinsichtlich der vereinbarten Sach- oder Dienstleistungspflicht noch nicht voll erfüllt sind (vgl. GrS vom 23.6.1997, BStBl 1997 II S. 735, Tz. B.I.2.). Bei Bürgschaftsverpflichtungen liegen – wie oben dargestellt – regelmäßig zwei verschiedene Rechtsverhältnisse vor. Die Zahlungsverpflichtung des Bürgen gegenüber dem Gläubiger ergibt sich aber (sofern nicht ein Vertrag zugunsten eines Dritten geschlossen wurde) allein aus dem einseitig verpflichtenden Bürgschaftsvertrag (so auch BGH vom 3.5.1984, Wertpapiermitteilungen 1984 S. 768: „Dieser [der Gläubiger] erwirbt erst dann Rechte gegen die Bank als Bürgin, wenn in Ausführung des Avalkreditvertrags der Bürgschaftsvertrag abgeschlossen wird, der von dem Avalkreditvertrag streng zu unterscheiden ist.”). Hinsichtlich des eigentlichen Bürgschaftsvertrags fehlt es aber an einem vereinbarten Leistungsaustausch und damit an der Grundvoraussetz...