LfSt Bayern v. 3.9.2010, S 2137.1.1 - 6/22 St 32
Mit Schreiben vom 12.8.2010 hat das Bundesministerium der Finanzen gegenüber dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. sowie dem Verband kommunaler Unternehmen e.V. zur Frage der Zulässigkeit von Rückstellungen für sog. Mehrerlösabschöpfungen in der Energiewirtschaft wie folgt Stellung genommen:
1. Rechtliche Rahmenbedingungen
Ein Netzbetreiber schließt mit einem Netznutzer einen zivilrechtlichen Vertrag ab, der dem Netznutzer die Nutzung des Versorgungsnetzes ermöglicht. Als Gegenleistung zahlt der Netznutzer ein Nutzungsentgelt an den Netzbetreiber. Die Höhe des maximalen Entgeltes wird durch die Bundesnetzagentur oder die zuständigen Landesregulierungsbehörden durch Festlegung einer sog. Obergrenze reguliert. Die Regulierungsbehörden sind keine Vertragsparteien.
Die auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes basierenden behördlich festgelegten Entgeltminderungen aufgrund der von den Netzbetreibern in der Vergangenheit zuviel vereinnahmten Nutzungsentgelte sind ausdrücklich zukunftsorientiert und periodenübergreifend ausgestaltet. Dies wird dadurch deutlich, dass sich die Netzbetreiber der künftigen Entgeltminderung grundsätzlich auch dann nicht entziehen können, wenn sie mit den einzelnen Netznutzem eine zivilrechtliche Vereinbarung zur Erstattung der Mehrerlöse abschließen. Bei der Berechnung der Mehrerlöse sind individuelle Rückerstattungen nur in bestimmten Ausnahmefällen (objektiv unabwendbare Rückabwicklungspflichten) zu verrechnen.
2. Mehrerlösabschöpfungen im Rahmen des schwebenden Geschäftes „Nutzungsvertrag”
Die Bedingungen für die Nutzung der Versorgungsnetze sind in einem zivilrechtlichen Vertrag zwischen Netzbetreiber und Netznutzer geregelt. Die einzelnen Verträge sind Dauerschuldverhältnisse und damit schwebende Geschäfte im Sinne von R 5.7 Absatz 7 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR).
Die Verpflichtung zur Mehrerlösabschöpfung betrifft ausschließlich die Vertragsbeziehungen mit den Netznutzem, die am Bilanzstichtag noch nicht beendet sind. Bei bereits ausgelaufenen Verträgen ist das Dauerschuldverhältnis zwar beendet; in diesen Fällen besteht aber ohne anderweitige Vereinbarungen (vgl. unten) auch keine Verrechnungspflicht. Ebenso bleiben künftige Neukunden unberücksichtigt. Sie profitieren zwar auch von den geminderten Nutzungsentgelten; eine wirtschaftliche Verursachung dieser Ausgleichsverpflichtungen in der Vergangenheit liegt aber nicht vor, da am Bilanzstichtag noch keine Vertragsbeziehungen bestehen.
Verpflichtungen aus schwebenden Geschäften werden nicht passiviert, es sei denn, das Gleichgewicht von Leistung (hier: Zurverfügungstellung der Versorgungsnetze) und Gegenleistung (hier: Entgelt) ist durch Erfüllungsrückstände gestört. Ein solcher Erfüllungsrückstand besteht im vorliegenden Fall aber nicht, da die Mehrerlöse erst in der Zukunft periodenübergreifend zu verrechnen sind. Im Ergebnis scheidet somit die Bildung einer Rückstellung für die Mehrerlösabschöpfungen aus.
Die Fälle der Mehrerlösabschöpfung sind nicht vergleichbar mit den Verpflichtungen aus den sog. ERA-Anpassungsfonds in der Metall- und Elektroindustrie (BMF-Schreiben vom 2.4.2007, BStBl 2007 I S. 301). Die dort abgeschlossenen Tarifvereinbarungen sind losgelöst von den bestehenden schwebenden Geschäften „Arbeitsverhältnis” zu beurteilen und stellen eine gesonderte Verpflichtung zwischen den Arbeitgebern und Gewerkschaften, also einem Dritten, dar, die sich nur mittelbar auf die Lohn- und Gehaltszahlungsvereinbarungen auswirken. Dagegen bestehen bei den Mehrerlösabschöpfungen keine direkten Vertragsbeziehungen zwischen Netzbetreibern und den Regulierungsbehörden. Die auf den entsprechenden gesetzlichen Vorgaben beruhenden behördlichen Vorgaben beeinflussen vielmehr unmittelbar die Nutzungsverträge zwischen Netzbetreibern und Netznutzern.
3. Vertragliche Rückerstattungsvereinbarungen zwischen den Netzbetreibern und einzelnen (ehemaligen) Netznutzern
Vereinbaren Netzbetreiber und Netznutzer auf freiwilliger Basis eine Erstattung von in der Vergangenheit zuviel gezahlten Netzentgelten und steht die Auszahlung am Bilanzstichtag noch aus, hat der Netzbetreiber eine entsprechende Verbindlichkeit zu passivieren. Vor einer solchen Vereinbarung scheidet eine Rückstellungsbildung bei noch bestehenden Nutzungsverträgen wegen des schwebenden Geschäftes ohne Erfüllungsrückstand (siehe 2.) und bei bereits beendeten Verträgen mangels Verpflichtung (siehe 1.) aus. Etwas anderes gilt nur, wenn im Nutzungsvertrag eine Erstattung von Mehrerlösen vorgeschrieben wird.
Hinweis des LfSt:
Die Frage, ob die vorstehenden Grundsätze auch auf sog. Kostenüberdeckungen bei kommunalen Versorgungsbetrieben (vgl. Niederschrift der Fachprüfertagung für Versorgungsbetriebe 2005 in Gotha; AIS / Arbeitsbereiche / Betriebsprüfung / Besprechungen) angewandt werden können oder ob eine abweichende rechtliche Beurteilung angezeigt ist, wird derzeit geprüft. Ggf. ergeht hierzu gesonderte Weisung...