Leitsatz
Der Steuerpflichtige kann die Rücklage nach § 6c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG rückwirkend bilden, wenn sich der Veräußerungspreis in einem späteren Veranlagungszeitraum erhöht und dadurch erstmals ein Veräußerungsgewinn entsteht.
Normenkette
§ 4 Abs. 3, § 6b Abs. 1, 3, 4, 7, § 6c, § 11 Abs. 1 EStG, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, § 94, § 158 Abs. 1, § 566, § 567a, § 593b BGB, § 60 Abs. 3, § 68 Satz 1, § 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 FGO
Sachverhalt
Ein den Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung ermittelnder Landwirt hatte mit wirtschaftlichem Übergang am 28.2.2008 ein bisher landwirtschaftlich genutztes Grundstück verkauft, über das er zuvor mit einem Windparkbetreiber einen Nutzungsvertrag geschlossen hatte. Der Kaufpreis für das Grundstück lag unter dessen Buchwert. Der Landwirt hatte gegenüber dem Grundstückskäufer aber einen Anspruch auf eine sog. Entschädigungsprovision für den Fall, dass es später zur Errichtung einer Windkraftanlage kommen sollte. Tatsächlich erhielt der Landwirt im Jahr 2010 eine solche Zahlung.
Er behandelte sie als nachträglichen Kaufpreis für den Grund und Boden, gab eine berichtigte Anlage L für das Jahr 2007 ab und beantragte, den Gewinn aus der Grundstücksveräußerung in eine Rücklage nach § 6c EStG einzustellen. Davon löste er im Wj. 2009/2010 einen Teilbetrag gewinnerhöhend auf und erfasste die Hälfte des Gewinns in der ESt-Erklärung für das Streitjahr 2009. Das FA sah in der Zahlung die Gegenleistung für die Übertragung eines Nutzungsrechts. Es lehnte deshalb die Bildung einer Rücklage ab und berücksichtigte demzufolge bei der Veranlagung für 2009 auch keinen Auflösungsgewinn. Die ESt 2009 wurde auf Null EUR festgesetzt.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage, mit der die Erhöhung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft geltend gemacht wurde, hatte keinen Erfolg (Niedersächsisches FG, Urteil vom 30.10.2013, 3 K 487/12, Haufe-Index 6205809, EFG 2014, 126).
Entscheidung
Der BFH gab der Revision des Landwirts statt und verwies das Verfahren an das FG zurück. Der Landwirt habe kein eigenständiges Nutzungsrecht verkauft, sondern lediglich das Grundstück mit bestimmten wertbildenden Eigenschaften. Die Zahlung sei als aufschiebend bedingte nachträgliche Kaufpreisleistung zu behandeln. Für den Gewinn aus der Grundstücksveräußerung habe im Jahr des wirtschaftlichen Übergangs eine Rücklage nach §§ 6c, 6b EStG gebildet werden können. Dementsprechend habe dem Landwirt auch ein Wahlrecht zugestanden, im Streitjahr einen Teilbetrag der Rücklage gewinnerhöhend aufzulösen. Verfahrensrechtlich sei in dem Veranlagungszeitraum über die Rücklagenbildung zu entscheiden, in dem sich erstmals eine Gewinnauswirkung aus der Bildung, Auflösung oder Übertragung der Rücklage ergebe.
Hinweis
1. Das Urteil ist wegen seiner Ausführungen zum Zeitpunkt der Bildung einer Rücklage nach § 6c EStG zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt worden.
a) Im Fall einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich steht fest, dass der Gewinn aus der Veräußerung eines Anlageguts mit dem Übergang der Gefahr auf den Erwerber realisiert ist, auch wenn sich die Höhe des Kaufpreises später noch ändert. Soll das Wahlrecht zur Bildung einer Reinvestitionsrücklage nach § 6b EStG ausgeübt werden, muss dies im Jahr der Gewinnrealisierung geschehen. Spätere Änderungen des Gewinns wirken auf dieses Jahr zurück.
b) Weniger klar ist die Rechtslage bei Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung. Soll die dort mögliche "Rücklage" nach § 6c EStG den nach dem Zuflussprinzip ermittelten Veräußerungsgewinn neutralisieren, muss sie als Betriebsausgabe im Jahr des Zuflusses des Kaufpreises behandelt werden. Kommt es in einem späteren Jahr zu einer Kaufpreisänderung, wirkt sich diese nicht rückwirkend auf das Erstjahr aus, sondern führt zum Zufluss bzw. Abfluss des Differenzbetrags in einem späteren Jahr. Die Neutralisierung des Gewinns müsste dann ebenfalls in jenem Jahr stattfinden.
Eine solche Handhabung geriete jedoch in Konflikt mit dem Erfordernis, die Frist für die Reinvestition bzw. die Auflösung oder Übertragung der Rücklage rechtssicher bestimmen zu können. Dies kann nur im Erstjahr geschehen, sodass dann auch die Rücklage im Erstjahr in Höhe des endgültig zulässigen Betrags gebildet werden muss. Soweit der tatsächliche Zufluss eines Kaufpreisteils – wie im Fall des hiesigen Urteils – erst später stattgefunden hat, muss dieser im Erstjahr als fiktive Betriebseinnahme und im tatsächlichen Zuflussjahr als fiktive Ausgabe behandelt werden. So sehen es auch die EStR vor (R 6c Abs. 1 EStR), die der BFH mit dem hiesigen Urteil bestätigt.
c) Streit über die Höhe des neutralisierten Gewinns kann Auswirkungen auf die Höhe der festzusetzenden Steuer des Erstjahres nicht haben, wenn die Rücklage in Höhe des ganzen Gewinns gebildet wird. Denn die aus § 6c EStG folgende Betriebsausgabe neutralisiert dann den gesamten betreffenden Gewinn. Erst im Zeitpunkt der Auflösung der Rücklage oder der Übertragung auf die Reinvestiti...