1. Verstoß gegen die Neutralität
Zeitpunkt im Prinzip irrelevant: Diskutiert wird insbesondere, ob die Berichtigung nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG auf den Zeitpunkt der Ausstellung der jeweiligen Rechnung zurückwirkt. Zwar ist es für die Berichtigung des Steuerbetrags im Prinzip ohne Bedeutung, auf welchen Zeitpunkt die Korrektur erfolgt. Relevant ist lediglich, dass sie erfolgt.
Problem Zinsen: Der Zeitpunkt ist aber im deutschen Recht insbesondere deshalb von Belang, weil mehrwertsteuerliche Verbindlichkeiten hierzulande gem. § 233a AO zu verzinsen sind. Dies ist insofern relevant als der Vorsteuerabzug, den ein unternehmerischer Leistungsempfänger im Regelfall auf der Grundlage der 14c-Rechnung vom Leistenden geltend gemacht hat, als von Anfang an unwirksam aberkannt wird. Der (gutgläubige) Leistungsempfänger muss also für die zurückzuzahlende Vorsteuer Zinsen an das Finanzamt zahlen, während der Erstattungsanspruch des Leistenden, falls keine Rückwirkung der Korrektur angenommen würde, von der Finanzverwaltung nicht zu verzinsen wäre.
Wg. Zinsen Verstoß gegen Neutralitätsgrundsatz: Folge wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, der für den EuGH ein tragendes Prinzip seiner Rechtsprechung darstellt. Ob die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleistet ist oder nicht, beurteilt der EuGH immer im Rahmen einer Gesamtbetrachtung. Unter dem Strich müssen sich Steuerschuld und Vorsteuerabzug ausgleichen, auch wenn sie verschiedene Steuerpflichtige betreffen. Der Verstoß gegen die Neutralität muss sich auch nicht zwingend aus der Steuer selbst ergeben. Es reicht vielmehr aus, dass die Verzinsung dem Gleichlauf von Steuerschuld und Vorsteuerabzug entgegensteht.
Feststellungen des EuGH: Letzteres hat der EuGH u.a. in seiner Senatex-Entscheidung relativ deutlich klargestellt. Hierin war einer der tragenden Gründe für die Anerkennung der Rückwirkung der Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs, dass der Leistungsempfänger bei einer Nichtanerkennung der rückwirkenden Korrektur zur Zahlung von Nachzahlungszinsen verpflichtet wäre, "obwohl der Mitgliedstaat keine Einbuße an Steuern erleidet, da das Umsatzsteueraufkommen im Ergebnis gleichbleibt".
2. Kein Verstoß bei Nichtanwendung der Verzinsung
Generelle Vollverzinsung unionsrechtswidrig: Fraglich ist zwar ohnehin, ob die Verzinsung gem. § 233a AO in ihrer jetzigen Form unionsrechtskonform ist. Es bestünde also für die Beteiligten im Prinzip die Möglichkeit, die Neutralität der Korrektur einer Steuerschuld gem. § 14c Abs. 1 UStG dadurch herzustellen, dass gegen die Festsetzung der Zinsen beim Leistungsempfänger vorgegangen wird. Dann wäre es für die Steuerpflichtigen im Prinzip ohne Bedeutung, ob die Steuerkorrektur durch den Leistenden gem. § 14c Abs. 1 UStG rückwirkend gilt oder nicht.
Anders aber (bislang) Rspr.: Mit diesem Unterfangen beißen die Steuerpflichtigen bei den deutschen FG aber leider – zumindest bislang – auf Granit. Die Gerichte verteidigen die uneingeschränkte Rechtmäßigkeit der Verzinsung auch bei der Mehrwertsteuer gegen alle unionsrechtlichen Grundsätze, die der EuGH anführt. Im Grunde genommen, indem sie – ohne den Feststellungen des EuGH, die sich mit der Geltung der mehrwertsteuerlichen Grundsätze für steuerliche "Sanktionen" befassen, wesentliche Aufmerksamkeit zu schenken – die Ausführungen aus früheren Urteilen nationaler Gerichte wiederholen und die Vorlage entsprechender Fragen beim EuGH ablehnen.
Vorlagepflicht: Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen bei den Gerichten offensichtlich nicht. Anderenfalls wären sie (wie auch andere nationale Stellen wie z.B. die Finanzbehörden) – sofern eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt – gehalten, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, indem sie erforderlichenfalls nationale Bestimmungen unangewendet lassen. Das gilt auch bei einem Verstoß gegen die primärrechtlichen Grundsätze des Mehrwertsteuerrechts.
Zinshöhe: Allein bezüglich der Zinshöhe von 6 % p.a. ist in Zeiten von Negativzinsen etwas Bewegung in die Rechtsprechung gekommen. Immerhin.