Leitsatz
1. Ist die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist auch auf verwaltungsrechtliche Maßnahmen wie die Rückforderung infolge von Unregelmäßigkeiten gewährter Ausfuhrerstattung anzuwenden?
2. Verjährt der Anspruch auf Rückforderung von Ausfuhrerstattung nach Ablauf von vier Jahren, nachdem die Unregelmäßigkeit begangen bzw. beendet worden ist, auch dann, wenn die Unregelmäßigkeit begangen oder beendet worden ist, bevor die VO Nr. 2988/95 in Kraft getreten ist?
3. Kann eine längere Frist von einem Mitgliedstaat auch dann angewandt werden, wenn eine solche längere Frist in dem Recht des Mitgliedstaats bereits vor Erlass der vorgenannten Verordnung vorgesehen war? Kann eine solche längere Frist auch dann angewandt werden, wenn sie nicht in einer spezifischen Regelung für die Rückforderung von Ausfuhrerstattung oder für verwaltungsrechtliche Maßnahmen im Allgemeinen vorgesehen war, sondern sich aus einer allgemeinen Regelung in dem betreffenden Mitgliedstaat ergab?
Normenkette
Art. 3 VO Nr. 2988/95, § 195 BGB
Sachverhalt
1993 war Rindfleisch zur Ausfuhr nach Jordanien abgefertigt und Ausfuhrerstattung gewährt worden. Später wurde festgestellt, dass das Fleisch in den Irak befördert worden ist (Motiv: Umgehung eines Embargos). Deshalb forderte das HZA die Ausfuhrerstattung zurück. Dies geschah allerdings erst 1999.
Das FG hat deshalb den Rückforderungsbescheid aufgehoben, weil ihm Verjährung entgegenstehe. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sei nämlich auch anzuwenden, wenn die zur Rückforderung führende Unregelmäßigkeit vor dem Inkrafttreten dieser VO begangen worden ist.
Entscheidung
Der BFH hält die rückwirkende Anwendbarkeit der Verjährungsregelung für nicht zweifelsfrei und hat dazu den EuGH befragt. Er hat bei dieser Gelegenheit auf die grundsätzlichen Zweifel an der Anwendbarkeit der Verjährungsregelung auf die Rückforderung von Ausfuhrerstattung – die der EuGH im Handlbauer-Urteil bejaht hat – hingewiesen und um Überprüfung der Rechtsprechung gebeten.
Hinweis
1. Verfahrensregelungen gelten grundsätzlich von ihrem Inkrafttreten an uneingeschränkt, also auch für bereits zuvor begonnene Verfahren. Bei materiell-rechtlichen Regelungen ist es häufig umgekehrt: Sie wollen (oder dürfen sogar) nicht rückwirkend die Rechtsposition der Beteiligten verschlechtern, gelten also meist nicht für bei ihrem Inkrafttreten schon verwirklichte Sachverhalte.
2. Ist eine Regelung über die Verjährung des Anspruchs der Zollbehörde auf Rückforderung zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattung eine Verfahrensregelung (die auch auf "Altfälle" anzuwenden ist)? Darüber wird man begrifflich gut streiten können. Die praktischen Konsequenzen einer rückwirkenden Anwendung der Regelung wären aber jedenfalls eigenartig und etwa bei Konsequenz der Wiedereröffnung einer bereits verstrichenen Frist auch (rechtsstaatlich) bedenklich. Allemal hätte man eine Übergangsregelung erwartet, wenn die Verordnung die Verjährung bereits vor ihrem Inkrafttreten begründeter Ansprüche sollte regeln wollen. Die Verordnung Nr. 2988/95 enthält aber hinsichtlich der Verjährung keine solche Übergangsregelung.
3. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass sie überhaupt nicht die Verjährung der Rückforderung, sondern (nur) die Verjährung des (Straf-)Verfolgungsanspruchs regeln will? Der EuGH hat das freilich anders gesehen (EuGH, Urteil vom 24.6.2004, Rs. C-278/02"Handlbauer" – EuGHE 2004, I-6171), wobei bei allem Respekt vor dem hohen Gericht gewisse Zweifel an seiner Argumentation (auch vom BFH in dem Besprechungsbeschluss) nicht unterdrückt werden können.
4. In seinem Urteil vom 11.1.2007, Rs. C-279/05 (ZfZ 2007, 50) scheint der EuGH nunmehr in Übereinstimmung mit den Schussanträgen des Generalanwalts eine rückwirkende Anwendbarkeit der Verjährungsregelung zu unterstellen. Ein Wort der Begründung dazu findet sich dort freilich nicht. Es geschieht vielmehr stillschweigend und wie selbstverständlich. Das ist es nun allerdings schwerlich. Der BFH erwähnt deshalb diese Entscheidung in seinem Vorlagebeschluss gar nicht erst. Das ist mitnichten eine versteckte Kritik an dem vorgenannten EuGH-Urteil; denn die Frage der rückwirkenden Anwendbarkeit der Verjährungsregelung war dem EuGH von dem vorlegenden Gericht gar nicht gestellt und deshalb von ihm auch nicht zu beantworten. Das Vorlagegericht stellt die Fragen und entscheidet grundsätzlich über deren Erheblichkeit für sein Verfahren! (Dass mitunter der EuGH die Fragestellung zurechtrückt oder ergänzt und damit, möchte man meinen, Missverständnissen vorbeugt, wie er es tun sollte, steht auf einem anderen Blatt.)
5. Dass der BFH über die Rückwirkungsproblematik hinaus den EuGH auf eine bereits von diesem entschiedene Frage anspricht, stellt sicher einen Ausnahmefall dar. Man darf gespannt sein, ob der EuGH bereit ist, die gegen seine Rechtsprechung vorgebrachten Argumente ernstlich in Erwägung zu ...