Leitsatz (amtlich)
1. Dem Pflichtverteidiger steht gegen die Ablehnung einer von ihm beantragten Entpflichtung ein eigenes Beschwerderecht zu.
2. An seine Pflicht zur Substantiierung seines Sachvortrags zur Darlegung einer endgültigen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses können nach den Umständen des Einzelfalls geringere Anforderungen zu stellen sein als an die Substantiierungspflicht des Beschuldigten selbst.
Normenkette
StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 4
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Entscheidung vom 10.09.2020; Aktenzeichen 8 KLs 20/20) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verteidigers wird der Beschluss des Vorsitzenden der 8. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 27. Juni 2022 a u f g e h o b e n und Rechtsanwalt S. L., S., als Pflichtverteidiger des Angeklagten e n t p f l i c h t e t.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch Beschluss des Vorsitzenden der 8. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 10. September 2020 (Az.: 8 KLs 20/20) zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt. In einem ersten Hauptverhandlungstermin vom 01. Dezember 2020 wurde das Verfahren aufgrund der Erkrankung einer Sachverständigen ausgesetzt. Die Hauptverhandlung wurde am 04. März 2021 neu begonnen und am 09. März 2021, 30. März 2021, 19. April 2021 und 26. April 2021 fortgesetzt, bevor sie aufgrund eines Wechsels des Kammervorsitzenden erneut ausgesetzt werden musste. Vor dem erneuten Neubeginn der Hauptverhandlung am 29. Juni 2022 beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 15. Juni 2022, ihn als Pflichtverteidiger des Angeklagten zu entpflichten und dem Angeklagten einen neuen Pflichtverteidiger beizuordnen. Zur Begründung gab er an, das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Angeklagten sei endgültig zerstört, so dass keine angemessene Verteidigung mehr gewährleistet sei. Im letzten Gespräch mit dem Angeklagten hätten sich derart konträre Ansichten und gegenteilige Meinungen aufgetan, dass es aus seiner Sicht keine Möglichkeit gebe, den Angeklagten angemessen zu verteidigen. Auch der Angeklagte wünsche die Beiordnung eines anderen Verteidigers. Die Nebenklagevertreterin ist einer Auswechslung des Pflichtverteidigers nicht entgegengetreten. Die Staatsanwaltschaft wurde angehört, hat jedoch keine Stellungnahme abgegeben.
Der Vorsitzende der 8. Großen Strafkammer hat "den Antrag auf Entpflichtung von Rechtsanwalt L. und Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers" durch Beschluss vom 27. Juni 2022 zurückgewiesen. Er ist der Auffassung, eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses sei nicht hinreichend substantiiert dargetan, zumal die behaupteten Meinungsverschiedenheiten im Rahmen früherer Hauptverhandlungstermine nicht zu Tage getreten seien. Auch der Beschleunigungsgrundsatz gebiete es, es bei der Beiordnung des bisherigen Pflichtverteidigers zu belassen, zumal bereits im früheren Verfahrensverlauf die damals bestellte Pflichtverteidigerin des Angeklagten entpflichtet worden und der jetzige Entpflichtungsantrag erst kurz vor der Hauptverhandlung gestellt worden sei.
Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger am 28. Juni 2022 sofortige Beschwerde eingelegt und ergänzend dargelegt, der Angeklagte verlange von ihm ein Verteidigungskonzept, das er nicht vertreten könne. Einen näheren Sachvortrag verbiete ihm seine Schweigepflicht.
Der Angeklagte selbst hat in einem am 29. Juni 2022 beim Landgericht eingegangenen Schreiben vom 24. Juni 2022 erklärt, er schließe sich der Einschätzung seines Verteidigers an und bitte, künftig von Rechtsanwalt T. oder - falls dieser verhindert sei - von Rechtsanwalt S. vertreten zu werden.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde des Verteidigers als unbegründet zu verwerfen.
Im Einvernehmen aller Verfahrensbeteiligter wurde am 29. Juni 2022 - zunächst unter Mitwirkung des bisherigen Pflichtverteidigers - mit der Hauptverhandlung begonnen. Im Nachgang zu diesem Hauptverhandlungstermin hat der Kammervorsitzende einen Vermerk gefertigt, in dem unter anderem dargelegt ist, der Angeklagte habe sich nach der Verhandlung mit Fragen an den bisherigen Pflichtverteidiger gewandt, aus denen sich über geraume Zeit ein Anwalt-Mandanten-Gespräch entwickelt habe. Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten oder die Kommunikation und Beratung störende persönliche Probleme zwischen ihm und seinem Verteidiger seien dabei nicht ersichtlich gewesen.
Der Vermerk wurde dem Verteidiger durch den Senat mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2022 hat der Verteidiger mitgeteilt, der Angeklagte habe sich nach dem Hauptverhandlungstermin lediglich mit der Bitte an ihn gewandt, für ihn bei Rechtsanwalt S. einen Rücksprachetermin zu vereinbaren. Das von dem Vorsitzenden beobachtete Gespräch habe nur diesen Wunsch des Angeklagten zum Gegenstand gehabt. Die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und dem Angeklagten bestehe ungeachtet dessen unverändert fort.
II...