Leitsatz
1. Für die Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft hat allein der Steuerpflichtige die Wahl zwischen einem individuellen Ertragswertverfahren nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG und der Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach §§ 199ff. BewG.
2. Kann sich das FG auf Grundlage der Wertermittlung des Steuerpflichtigen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG keine ausreichende Überzeugung von dem gemeinen Wert des Anteils bilden, hat es von Amts wegen geeignete Maßnahmen zur Sachaufklärung zu ergreifen, um den gemeinen Wert zu ermitteln. Die Wertermittlung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren stellt keine Auffangmethode dar.
Normenkette
§ 11 Abs. 2, § 198, § 199 Abs. 2, § 200 BewG, § 162 AO, § 76 Abs. 1 FGO, § 412 Abs. 1 ZPO
Sachverhalt
Die Klägerin ist die Erbin ihres Ehemanns (E), der bis zu seinem Tod am 1.1.2011 Gesellschafter einer GmbH gewesen war. Das FA stellte gegenüber der Klägerin den Wert der GmbH auf diesen Tag im vereinfachten Ertragswertverfahren und den Wert des Anteils des E für Zwecke der Erbschaftsteuer gesondert fest.
Ihren Einspruch begründete die Klägerin damit, dass die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führe. Sie übersandte dazu eine gutachterliche Stellungnahme eines Wirtschaftsprüfers. Der Unternehmenswert wird darin unter Anwendung des Ertragswertverfahrens entsprechend der "Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen" des Instituts der Wirtschaftsprüfer Standard 1 (IDW S 1) durch Abzinsung der künftigen finanziellen Überschüsse ermittelt. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Klage hatte nur insoweit Erfolg, als das FG die den anderen Gesellschaftern zustehenden Sondergewinnbezugsrechte wertmindernd berücksichtigte. Die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens beanstandete das FG nicht (FG Düsseldorf, Urteil vom 12.12.2018, 4 K 108/18 F, Haufe-Index 12699591, EFG 2019, 406).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin verwies der BFH die Sache an das FG zurück. Das FG sei zu Unrecht von einem Vorrang der Wertermittlung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren gemäß §§ 199ff. BewG ausgegangen. Es habe seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung dadurch verletzt, dass es die in Form der gutachterlichen Stellungnahme eingereichte Wertermittlung weder beachtet noch unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ergänzt und angepasst habe. Das FG habe noch nicht alle erforderlichen Feststellungen getroffen, um auf Grundlage der gutachterlichen Stellungnahme den gemeinen Wert des Anteils an der GmbH nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG zu ermitteln.
Hinweis
Der BFH befasst sich im Besprechungsurteil mit der Bewertung von Anteilen an einer nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft für Zwecke der Erbschaftsteuer.
1. Nicht an der Börse notierte Anteile an Kapitalgesellschaften – wie die Geschäftsanteile einer GmbH – sind gemäß § 12 Abs. 2 ErbStG im Wege einer gesonderten Feststellung nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG nach Maßgabe des § 157 Abs. 4 BewG und § 11 Abs. 2 BewG unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse und der Wertverhältnisse zum Bewertungsstichtag mit dem gemeinen Wert zu bewerten.
Liegen zeitnahe Verkäufe, aus denen der gemeine Wert abgeleitet werden könnte, nicht vor, so ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BewG). Der Substanzwert darf nicht unterschritten werden (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BewG). Nach § 11 Abs. 2 Satz 4 BewG sind die §§ 199 bis 203 BewG zu berücksichtigen.
a) Die Ermittlung des Werts der Beteiligung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG kann durch eine individuelle Unternehmensbewertung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen erfolgen, insbesondere durch eine solche nach IDW S 1 (vgl. BFH, Urteil vom 12.6.2019, X R 38/17, BFH/NV 2019, 975, BStBl II 2019, 518, Haufe-Index 13252826, Rz. 66, m.w.N.).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anteilsbewertung ist der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 12 Abs. 2 Satz 1 ErbStG i.V.m. § 11 ErbStG), d.h. bei Erwerben von Todes wegen regelmäßig der Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Zwar ist das Ertragswertverfahren nach IDW S 1 zukunftsbezogen ausgestaltet und umfasst als Prognosebetrachtung insbesondere die leistungs- und finanzwirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens unter Berücksichtigung der erwarteten Markt- und Umweltentwicklungen. Maßgebend sind jedoch der Wert am Bewertungsstichtag und damit auch die Prognosebeurteilungen auf diesen Bewertungsstichtag. Auch unter Berücksichtigung des Stichtagsprinzips können Verhältnisse und Gegebenheiten berücksichtigt werden, die im Bewertungszeitpunkt zwar noch nicht eingetreten, aber so hinreichend konkretisiert sind, d...