Entscheidungsstichwort (Thema)
Falsche Bezeichnung der Änderungsvorschrift in einem Änderungsbescheid. Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO als Ermessensentscheidung. keine Nachholung der Zwangsauflösung von Ansparrücklagen bei Überschussrechnung. Grundgedanke des § 174 Abs. 4 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Die falsche Bezeichnung der Änderungsvorschrift in einem Änderungsbescheid führt – abgesehen von Ermessensentscheidungen – nicht zur Rechtswidrigkeit des Änderungsbescheides.
2. Bei einer Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die vom FA fehlerfrei auszuüben und zu begründen ist. Dem Gericht ist es verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des FA zu setzen und selbst die Änderung des Bescheides mit dieser Vorschrift zu rechtfertigen.
3. Bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG ist eine Ansparrücklage spätestens im Endzeitpunkt des zweiten Jahres nach ihrer Bildung zwangsweise aufzulösen. Eine Nachholung dieser Zwangsauflösung in Folgejahren kommt bei Gewinnermittlung durch Einnahme-Überschussrechnung nicht in Betracht.
4. Grundgedanke und Rechtfertigung der rückwirkenden Änderung nach § 174 Abs. 4 AO ist es, den Steuerpflichtigen, der die Änderung eines Steuerbescheides zu seinen Gunsten erwirkt hat, an seinem Rechtsstandpunkt auch insoweit festzuhalten, als dieser für ihn anderweitig zu nachteiligen steuerlichen Konsequenzen führt.
Normenkette
AO § 174 Abs. 4, §§ 5, 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c; EStG § 4 Abs. 3, § 7g Abs. 1, 3-4
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die angefochtenen Bescheide des Streitjahres 2006 wegen der Auflösung einer Ansparrücklage nach § 7g EStG noch geändert werden können.
Die Kläger sind zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte im Streitjahr 2006 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Er ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahme-Überschussrechnung. Er war seit 2003 als selbständiger Handelsvertreter für … tätig. Im Jahr 2001 hatte er ein Gewerbe in der gleichen Branche abgemeldet; in der Zwischenzeit war er als Arbeitnehmer einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Bereits im Jahr 2003 hatte er eine Ansparrücklage iHv. EUR 5.000,– gebildet, die er im Jahre 2005 mit Zinszuschlag ohne Anschaffung eines Wirtschaftsgutes auflöste.
Der Kläger bildete im Jahr 2004 die hier streitige Ansparrücklage nach § 7g iHv. EUR 30.000,– für die Anschaffung eines Transporters. Die Veranlagung 2004 erfolgte unter steuermindernder Berücksichtigung dieser Ansparrücklage. Die Kläger reichten ihre Einkommensteuererklärung 2006 am 27. Februar 2008 bei dem Finanzamt ein. In der Gewinnermittlung 2006 ist eine Auflösung der Ansparrücklage nicht erkennbar. Im Anlagespiegel ist ein Zugang zum Anlagevermögen nicht feststellbar. Der Beklagte – das Finanzamt – setzte mit Einkommensteuerbescheid 2006 vom 4. Juni 2008 die Einkommensteuer auf EUR … sowie mit Gewerbesteuermessbescheid vom 4. Juni 2008 den Gewerbesteuermessbetrag entsprechend fest und berücksichtigte dabei keine gewinnerhöhende Auflösung der Ansparrücklage. Die Festsetzung enthielt keinen Vorbehalt der Nachprüfung; sie wurde bestandskräftig. Ein in der Bilanzakte (Blatt 1) befindlicher Überwachungsbogen erfasst die gebildeten Rücklagen; auch die des Jahres 2004. Der Kläger ist dort nicht als Existenzgründer erfasst. Auf den Überwachungsbogen wird Bezug genommen.
Im Rahmen der Veranlagung 2007 Mitte 2009 stellte das Finanzamt fest, dass die im Jahr 2004 gebildete Rücklage nicht aufgelöst und der Transporter nicht angeschafft worden sei. Mit dem Einkommensteuerbescheid 2007 vom 8. September 2009 löste daher das Finanzamt die Rücklage gewinnerhöhend auf. In einem Telefonvermerk hierzu vom 20. August 2009 (Blatt 45 Bilanzakte) heißt es: „Stb hat keine Einwendung, dass die Auflösung der Rücklage in 2007 erfolgt” und in einem weiteren Telefonvermerk vom 25. August 2009 (Blatt 46 Finanzgerichtsakte): „Stb. stimmte zu, dass die Auflösung der § 7g RL aus 2004 + 2005 in 2007 erfolgen kann …”.
Der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2007, mit dem die Kläger, nunmehr vertreten durch den Prozessbevollmächtigten, geltend machten, die Rücklage sei – wenn überhaupt – zwei Jahre nach Bildung aufzulösen, hatte Erfolg. Das Finanzamt änderte insoweit am 13. Juli 2010 den Einkommensteuerbescheid 2007. In einem Aktenvermerk vom 28. Oktober 2009 heißt es hierzu u.a. „Bei der Veranlagung 2007 wurde bemerkt, dass die 7g-Rücklage aus 2004 nicht in 2006 aufgelöst wurde – in Abstimmung mit StB … wurde die Rücklage deshalb in 07 aufgelöst – dagegen wurde durch neuen StB Einspruch eingelegt – Auflösung in 2007 falsch – siehe BFH 31.03.08 VIII B 212/07 (NV) – dem Einspruch ist diesbezüglich stattzugeben” (Blatt 72 Einkommensteuerakte).
Mit dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2006 vom 13. Juli 2010 änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2006 vom ...