Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Einkommensteuerbescheids als Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid. Einkommensteuer 1999
Leitsatz (redaktionell)
Beantragt der den Steuerpflichtigen vertretende Steuerberater während der Einspruchsfrist gegen einen Einkommensteuerbescheid lediglich AdV und Ruhen des Verfahrens bzw. legt gegen das diese Anträge ablehnende Schreiben – mit dem das FA auf einen bisher fehlenden Einspruch hinweist – Einspruch ein und beantragt erneut AdV, können die Schreiben nicht als Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid etwa deshalb ausgelegt werden, weil ein AdV-Antrag einen Einspruch voraussetzt.
Normenkette
AO 1977 § 355 Abs. 1 S. 1, § 357 Abs. 3 S. 1, §§ 361, 350, 358; BGB § 133
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Klägerin fristgerecht Einspruch eingelegt hat.
Der Beklagte erließ gegen die Klägerin am 05. Dezember 2002 den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1999, wobei er in die Bemessungsgrundlage unter anderem den Gewinn aus der Veräußerung eines Grundstücks in Höhe von 159.084,– DM einbezog. Die Klägerin hatte das Grundstück mehr als fünf Jahre vor der Veräußerung erworben, die im Streitjahr erfolgte.
Am 06. Dezember 2002 ging beim Beklagten das Schreiben des damaligen Steuerberaters der Klägerin (im Folgenden: StB) ein. In der Betreff-Zeile dieses Schreibens heißt es: „Bitte um Aussetzung der Vollziehung und Ruhen des Verfahrens Einkommensteuererklärung 1999 meiner Mandantin …, StNr. …, Veräußerung B-Straße”. Der StB bittet im Text des Schreibens, „das Verfahren gem. § 363 AO wegen der ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Besteuerung auszusetzen” und verweist hierzu auf das „beim BFH anhängige” Verfahren zum Aktenzeichen IX B 90/00. Der BFH habe „im Hinblick auf die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erfassung von Spekulationsgewinnen bei Grundstücksverkäufen, für welche die zuvor geltende Regelung keine Steuerverstrickung mehr bedeutet hätte, die Aussetzung der Vollziehung gewährt”. Auch nach den Ausführungen im Kommentar von Ludwig Schmidt sei Aussetzung der Vollziehung (AdV) zu gewähren. Insofern werde „um AdV des angefochtenen Spekulationsgewinnes bis zur höchstrichterlichen Entscheidung” gebeten.
Der Beklagte lehnte die Anträge mit Schreiben vom 18. Dezember 2002 ab. Er wies daraufhin, dass die Steuerfestsetzung hinsichtlich der genannten Einkünfte vorläufig erfolgte. Das Ruhenlassen des Verfahrens sei nicht erforderlich, da eine Änderung von Amts wegen vorgenommen werde. Weiter heißt es: „Ein Einspruch wäre somit im vorliegenden Fall mangels Beschwer als unzulässig zu verwerfen. Voraussetzung der Gewährung der von Ihnen beantragten AdV ist unter anderem, dass die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nach summarischer Prüfung ernstlich zweifelhaft ist. Zunächst ist eine AdV nur im Rahmen eines Einspruchsverfahrens möglich. Des Weiteren behält die Vorschrift des § 23 EStG solange ihre Gültigkeit und ist anzuwenden, bis die Verfassungswidrigkeit festgestellt ist und eine schriftliche Begründung darüber vorliegt. Aus diesem und o.g. Gründen ist der Bescheid in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht derzeit nicht fehlerhaft”.
Hierauf reagierte der StB mit Schreiben vom 21. Dezember 2002, das beim Beklagten am 27. Dezember 2002 einging. In der Betreff-Zeile heißt es: „Bitte um Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des privaten Veräußerungsgeschäftes B-Straße im Einkommensteuerbescheid 1999 meiner Mandantin, StN. …; Ihr Schreiben vom 18.12.2002”. Der StB fuhrt aus, „ich verstehe nicht, weshalb die Finanzverwaltung die Behandlung der AdV in den Fällen des § 23 unterschiedlich handhabt. Gemäß Ludwig Schmidt (in EStG, § 23 Tz. 2 a) setzt die Finanzverwaltung diese Bescheide auch aus. Selbst der BFH hat dies ebenfalls in dem angegebenen Urteil getan. Deshalb lege ich gegen Ihr Schreiben Einspruch ein. Unstreitig ist, dass es an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 23 in unserem Falle, in welchem sogar neun Jahre verstrichen waren, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit gibt. Zudem bedeutet eine Zahlungsaufforderung in Höhe von ca. 42.000,– EUR ebenfalls eine Beschwer, so dass der Einspruch statthaft ist. Ich bitte daher, auch in Anbetracht der erheblichen Höhe der Steuernachzahlung gemäß dem BFH-Urteil X 90/00, um AdV, und sei es im Billigkeitswege…”.
Unter dem 09. Januar 2003 wies der Beklagte nochmals darauf hin, dass bisher kein Rechtsbehelf gegen den Einkommensteuerbescheid 1999 vorliege. Der StB bat mit Schreiben vom 13. Januar 2003, seine Schreiben vom 06. und 21. Dezember 2002 als Einsprüche anzusehen.
Der Prozessbevollmächtigte legte am 07. Februar 2003 im Namen der Klägerin Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorige...