rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch bei Behandlung als unbeschränkt steuerpflichtig gem. § 1 Abs. 3 EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG setzt voraus, dass der Steuerpflichtige aufgrund eines entsprechenden Antrags vom FA nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden ist.
2. Soweit das für einen Einkommensteuer-Veranlagungszeitraum der Fall ist, besteht ein Anspruch auf Kindergeld nur in den Monaten des betreffenden Kalenderjahres, in denen der Steuerpflichtige inländische Einkünfte i. S. v. § 49 EStG erzielt hat. Hierbei handelt es sich um diejenigen Monate, in denen die Einkünfte zeitlich zu erfassen sind.
3. Der Umstand, dass das FA den Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt hat, schließt eine eigenständige kindergeldrechtliche Prüfung der Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht aus.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 3, § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, Nr. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Änderungsbescheides vom 27.07.2015 verpflichtet, für die Kinder A. und P. auch für die Monate März und Juni 2011, Januar, April und Dezember 2012 sowie April und November 2013 volles Kindergeld festzusetzen.
Die Beklagte und der Kläger tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist die Kindergeldberechtigung des Klägers für seine am 26.01.1999 geborene Tochter A. und seinem am 12.09.2003 geborenen Sohn P..
Der Kläger lebte gemeinsam mit seiner Frau und den o.g. Kindern in Polen, wo aufgrund des Familieneinkommens kein Anspruch auf Kindergeld bestand. Er war im Inland als Trockenbauer gewerblich tätig. Gemäß einer Bescheinigung des Finanzamts O. vom 13.01.2015 wurde er im Zeitraum 12.08.2010 bis 31.12.2013 nach § 1 Abs. 3 Einkommensteuergesetz – EStG – als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt.
Bereits mit Bescheid vom 19.12.2014 hatte die Beklagte den Kindergeldantrag des Klägers ab August 2010 abgelehnt, weil er angeforderte Unterlagen nicht vorgelegt habe. Dagegen hatte der Kläger unter dem 02.01.2015 Einspruch eingelegt. Unter dem 22.01.2015 legte er die Bescheinigung des Finanzamts O. vom 13.01.2015 vor. Unter dem 18.03.2015 legte er den Ablehnungsbescheid über das polnische Kindergeld sowie die von ihm bis Februar 2011 gestellten Rechnungen und dazu die Kontoauszüge zum Nachweis der Zahlungseingänge vor. Daraufhin wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 14.04.2015 den Einspruch ab März 2011 als unbegründet zurück und setzte für den Zeitraum August 2010 bis Februar 2011 volles Kindergeld für die Kinder A. und P. fest.
Am 13.05.2015 hat der Kläger Klage erhoben.
Im Klageverfahren hat er auch die von ihm im Zeitraum März 2011 bis Dezember 2013 gestellten Rechnungen, in denen jeweils der Leistungszeitraum angegeben ist, samt den dazugehörigen Kontoauszügen als Nachweis für die Zahlungseingänge vorgelegt. Daraufhin hat die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 27.07.2015 für April, Mai und Juli bis Dezember 2011, Februar, März und Mai bis November 2012, Januar bis März, Mai bis Oktober und Dezember 2013 volles Kindergeld für die Kinder A. und P. festgesetzt.
Der Kläger beantragt,
für die Monate März und Juni 2011, Januar, April und Dezember 2012 und April und November 2013 Kindergeld festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, in den noch streitigen Kindergeldmonaten habe der Kläger keine inländischen Einkünfte erzielt, weil ihm keine Zahlungseingänge zugeflossen seien. Eine Berücksichtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG komme nicht in Betracht, weil das Finanzamt den Kläger nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt habe.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Änderungsbescheid vom 27.07.2015 (§ 68 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 2 Satz 1 FGO), soweit für die Kinder des Klägers für die noch streitigen Kalendermonate nicht ebenfalls volles inländisches Kindergeld festgesetzt worden ist.
Nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 EStG hat u.a. Anspruch auf Kindergeld für minderjährige, im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder, wer ohne einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.
Die Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist – anders als die nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a EStG – von der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des Steuerpflichtigen abhängig. Eine Kind...