rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch für verheiratete studierende Tochter mit eigenem Kind. Praktikum als Ausbildung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der eine typische Unterhaltssituation der Eltern voraussetzende Anspruch auf Kindergeld für ein volljähriges Kind besteht nicht, wenn mit der Geburt eines Kindes durch ein Kind der andere Elternteil des Kindeskindes gem. § 1615l BGB vorrangig unterhaltspflichtig wird.
2. Ein den Kindergeldanspruch ausschließenden Unterhaltsanspruch der aufgrund der Geburt ihres Kindes das Hochschulstudium unterbrechenden Tochter ergibt sich nicht aus § 1615l Abs. 2 S. 2 BGB, wenn sich nach der Geburt ihre Situation nicht ändert, sie weiterhin keiner Erwerbstätigkeit nach geht, ihr Studium fortsetzt und ihren Unterhalt vom BAföG bestreitet.
3. Kindergeld können Eltern eines verheirateten Kindes nur erhalten, wenn sie weiterhin für das Kind aufkommen (sog. Mangelfall). Das ist der Fall, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes einschließlich der Unterhaltsleistungen des Ehepartners unterhalb des steuerrechtlichen Existenzminimums liegen.
4. Offen blieb, ob ein an das abgeschlossene Hochschulstudium nach zwei monatiger Unterbrechung anschließendes Vier-Monats Praktikum mit jeweils 20 Wochenstunden als Ausbildung i. S. d. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG anzusehen ist.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 1; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 32 Abs. 4 S. 2; BGB § 1615l Abs. 2 S. 2, § 1608 S. 1, § 1360
Nachgehend
Tenor
1. Der Aufhebungs- und Rückzahlungsbescheid vom 11. Juli 2011 sowie die Einspruchsentscheidung vom 30. September 2011 werden aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Kindergeld für den Zeitraum Januar bis Oktober 2010 in gesetzlicher Höhe für das Kind L. zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 38% und die Beklagte 62%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe vor der Vollstreckung leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Berücksichtung eines Praktikums als Ausbildung und die Anrechnung von Unterhalt des Vaters des unehelichen Kindes an die Mutter im Rahmen des Kindergeldes.
Die Klägerin ist die Mutter der am 28. Oktober 1986 geborenen Tochter L. Die Tochter ist seit dem 3. September 2010 verheiratet, selbst Mutter eines Kindes (geb. am 8. April 2009) und studierte an der Hochschule X Kartographie. Bis August 2009 nahm sie ein Urlaubssemester, danach setzte sie ihr Studium fort. Sie wohnte im Jahr 2010 und 2011 mit dem Vater ihres Kindes in einer gemeinsamen Wohnung in Y. Das Einkommen der Tochter betrug von Januar 2010 bis August 2010 monatlich EUR 405 und im Oktober EUR 300. Ihr Ehemann hatte in diesem Zeitraum ein monatliches Einkommen von EUR 1.718,02 (netto). Die Exmatrikulation nach Bestehen der Abschlussprüfung erfolgte laut Bescheinigung der Hochschule X vom 21. Februar 2011 am 22. Oktober 2010. In der Zeit vom 17. Januar 2011 bis 13. Mai 2011 absolvierte das Kind ein Praktikum bei der Stadt Y im Vermessungs- und Katasterwesen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden. Das Praktikum umfasste im Bereich Design die Erstellung eines Flyers, im Bereich Mulitmedia die Erstellung einer Flash-Anwendung für das Internet, im Bereich Geoinformation die Erarbeitung eines Konzeptes zur Umstellung des Amtlichen Stadtplanes auf eine neue Software und im Bereich Kartographie die Erstellung verschiedener kartografischer Produkte im laufenden Betrieb.
Mit Bescheid vom 11. Juli 2011 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für den Zeitraum von Januar 2010 bis Oktober 2010 auf, weil der andere Elternteil des Kindes zum Unterhalt verpflichtet sei und forderte von der Klägerin überzahltes Kindergeld in Höhe von EUR 1.840 zurück. Mit Bescheid vom selben Tag hob die Beklagte für den Zeitraum November 2010 bis April 2011 die Kindergeldfestsetzung auf, da das Studium im Oktober 2010 beendet worden sei. Das Praktikum stelle keine Berufsausbildung dar. Dagegen legte die Klägerin Einsprüche ein, die die Beklagte mit Einspruchsentscheidungen vom 13. Oktober 2011 und 30. September 2011 als unbegründet zurückwies.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Einkommen des Kindsvaters ihres Enkels nicht ausreichend gewesen sei, um die Familie allein zu versorgen. Die Beklagte habe alle Tatsachen gekannt, insbesondere das Einkommen des Ehemannes der Tochter, und gleichwohl Kindergeld weiter gezahlt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 11. Juli 2011 (Kindergeld Januar bis Oktober 2010) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. September 2011 und den Bescheid vom 11. Juli 2007 (Kindergeld von November 2010 bis April 2011) vom 13. Oktober 2011 jeweils aufzuheben.
Die Beklagte beantra...