rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Verdrängung des Kindergeldanspruchs der in Polen lebenden Kindsmutter für das in ihren Haushalt aufgenommene Kind durch in Polen zwar dem Grunde nach, aber aufgrund des Familieneinkommens tatsächlich nicht bestehenden Kindergeldanspruchs

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein dem Grunde und der Höhe nach bestehender und somit nach Art. 60 Abs. 1 S. 2 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 ableitbarer Anspruch auf deutsches Kindergeld kann nicht mit der Begründung versagt werden, dass ein polnischer Kindergeldanspruch für dasselbe Kind zwar dem Grunde nach, aufgrund des Familieneinkommens oder des Alters des Kindes tatsächlich jedoch nicht besteht.

2. Die Nichtanwendbarkeit der Prioritätsregeln des Art. 68 Verordnung (EG) 883/2004 auf Kindergeldmonate, für die im Ergebnis in Polen kein Kindergeldanspruch besteht, führt nicht dazu, dass dann auch eine Ableitung des dadurch nicht verdrängten deutschen Kindergeldanspruchs des Kindesvaters durch die Klägerin nach Art. 60 Abs. 1 S. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 gem. den Grundsätzen des EuGH-Urteils [Urteil v. 22.10.2015, C-378/14 (Trapkowski)] nicht möglich wäre.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1; EGV 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 1-2

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 02.01.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.11.2017 verpflichtet, der Klägerin volles Kindergeld für den Sohn N. L. für die Monate November 2013 bis Oktober 2014 zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger 41/53 und die Beklagte 12/53.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Klägerin lebt zusammen mit ihrem am 13.06.2003 in D. geborenen Sohn N. L. in Polen.

Der Kindesvater, A.S., ist deutscher und iranischer Staatbürger und lebte in D., wo er bis zum 06.03.2017 unter der Anschrift D.-Str. gemeldet war. Bis Mai 2018 erhielt A.S. Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II –. Auch beim hierfür zuständigen Jobcenter D. war die D.-Str. in D. die letzte bekannte Anschrift.

Die Klägerin ist ferner Mutter des am 24.10.2014 geborenen Sohnes S.B., der seit Dezember 2015 getrennt von der Klägerin im Haushalt des Vaters und geschiedenen Ehemanns der Klägerin (Eheschließung im Mai 2015) in Polen lebt.

Die Klägerin war bis zum 31.10.2012, vom 06.09. bis 05.10.2013, vom 02.06.2014 bis 31.05.2015 und seit 04.05.2015 in Polen erwerbstätig. Vom 24.10.2014 bis 04.05.2015 befand sie sich in Mutterschutz. Gemäß den vorliegenden Einkommensteuererklärungen der Klägerin für die Jahre 2012 bis 2015 überschritt ihr Einkommen die jeweils maßgebliche Einkommensgrenze für polnisches Kindergeld nur im Jahr 2012, maßgeblich für den polnischen Kindergeldzahlungszeitraum November 2013 bis Oktober 2014. Für 2011 legte die Klägerin keine Einkommensnachweise vor. Angaben zum Zeitraum des Zusammenlebens mit ihrem geschiedenen Ehemann und dem gemeinsamen Kind S. sowie zum Einkommen des geschiedenen Ehemannes machte sie nicht.

Mit Bescheid vom 26.06.2014 wurde der Klägerin bis einschließlich Oktober 2012 Kindergeld für N. bewilligt. Unter dem 25.07.2014 beantragte die Klägerin erneut Kindergeld ab November 2012. Mit Bescheid vom 02.01.2017 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Kindergeld für N. ab Oktober 2012 ab. Dagegen legte die Klägerin am 11.01.2017 Einspruch ein.

Am 27.10.2017 hat die Klägerin Untätigkeitsklage erhoben.

Mit Einspruchsentscheidung vom 27.11.2017 hat der Beklagte den Einspruch der Klägerin ab November 2012 als unbegründet zurückgewiesen. Der Kindesvater übe nach Aktenlage keine Erwerbstätigkeit aus. Ob er im Inland über einen Wohnsitz verfügt habe, könne dahingestellt bleiben, weil auch bei Vorliegen eines solchen kein Kindergeldanspruch bestehe. Bei einem bloßen Wohnsitz in Deutschland sei der Anspruch auf deutsches Kindergeld nach Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 stets nachrangig, wenn das Kind in Polen wohne. Gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der genannten Verordnung müsse auch Differenzkindergeld nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedsstaat wohnten, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst werde.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihren Bescheid vom 02.01.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.11.2017 aufzuheben und zugunsten der Klägerin Kindergeld für ihren Sohn N. L. für den Anspruchszeitraum November 2012 bis einschließlich März 2017 in Höhe von insgesamt 9.896 Euro festzusetzen.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg, soweit der Klägerin in den Streitmonaten November 2013 bis Oktober 2014 aufgrund ihrer Einkünfte in Polen...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge