rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b AO als Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines gesonderten Gewinnfeststellungsbescheids, der von aktuell nicht mehr sachlich zuständigem FA erlassen worden ist
Leitsatz (redaktionell)
1. War bis zur Betriebsaufgabe eines Einzelunternehmens das Betriebsstättenfinanzamt auch für die Einkommensteuer der Steuerpflichtigen örtlich zuständig, so ist auch dann nicht nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO eine gesonderte Feststellung des Gewinns (einschließlich eines Veräußerungs- oder Aufgabegewinns) durchzuführen, wenn die Steuerpflichtige zeitlich nach der Betriebsaufgabe noch im selben Jahr ihren Wohnsitz durch Umzug in den örtlichen Zuständigkeitsbereich eines anderen FA verlegt hat und dadurch das andere FA für die Einkommensteuer sachlich zuständig geworden ist.
2. Hat später gleichwohl das vor dem Umzug für den Steuerpflichtigen zuständige FA unberechtigt den Gewinn samt Aufgabegewinn für das aufgegebene Einzelunternehmen gesondert festgestellt, so ist dieses – tatsächlich nicht mehr sachlich zuständige – FA berechtigt und verpflichtet, den zu Unrecht erlassenen gesonderten Feststellungsbescheid nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b AO wieder aufzuheben, ohne dass dem Vertrauensschutzgesichtspunkte oder die Grundsätze zur Rechtssicherheit entgegenstünden. Das nunmehr für die Einkommensteuer neu zuständige FA hat dann die Höhe des Gewinns samt Aufgabegewinn in eigener Zuständigkeit zu ermitteln (im Streitfall: noch keine Anwendbarkeit von § 180 Abs. 1 S. 2 AO in der ab 1.1.2015 anzuwendenden Fassung).
3. Die Verletzung der §§ 18, 19 AO in der gemäß § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffenen Zuordnung ist ein nicht heilbarer Rechtsfehler.
Normenkette
AO § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b, § 18 Abs. 1 Nrn. 2-3, § 19; FGO § 102
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte berechtigt war, einen Steuerbescheid aufzuheben.
Die Klägerin erzielte Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Kieferorthopädin. Ihre Praxis befand sich in der …straße … in X. Zum … Januar 2012 gab sie ihre Praxis auf.
Wohnhaft war sie in der …-Straße … in Y, das ebenfalls zum Bezirk des Beklagten gehört. Zum … April 2012 verzog die Klägerin an die Anschrift … in Z im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Z. Sie wird mit ihrem Ehemann gemeinsam veranlagt. Für das Streitjahr reichte sie 2014 beim Wohnsitzfinanzamt, dem Finanzamt Z, eine gemeinsame Einkommensteuererklärung ein. Aus der Anlage S ergab sich ein Veräußerungsgewinn von EUR ….
Mit Schreiben vom … übersandte das Finanzamt Z danach dem Beklagten die EÜR der Klägerin nebst Bilanz bzw. Schlussbilanz zuständigkeitshalber mit der Bitte um weitere Veranlassung. Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom … März 2014 setzte der Beklagte die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit für 2012 ohne die Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns fest. Mit Bescheid vom … Mai 2014 setzte das Finanzamt Z die Einkommensteuer 2012 für die Klägerin und ihren Ehemann auf EUR …fest, wobei es einen Veräußerungsgewinn von EUR … bei ihr berücksichtigte. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, da laut Grundlagenbescheid des Beklagten die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit nur EUR … betrügen. Über den Einspruch ist noch nicht entschieden.
Mit Schreiben vom … April 2014 übersandte das Finanzamt Z dem Beklagten weitere Teile der Einkommensteuererklärung zur Feststellung des Veräußerungsgewinns, u.a. die Anlage S. Der Beklagte forderte die Klägerin zur Vorlage von Belegen zum Veräußerungsgewinn auf. Weitere Angaben machte die Klägerin nicht, da sie der Auffassung war, dass der Bescheid vom … März 2014 bestandskräftig sei und der Beklagte eine Änderung nicht mehr vornehmen könne. Nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nicht vorlägen, da für die Klägerin am Ende des Gewinnermittlungszeitraums allein der Beklagte zuständig gewesen sei, weil zum … Januar 2012 sowohl der Wohnsitz wie auch der Betriebssitz in X gewesen sei. Mit Bescheid vom … August 2014 hob der Beklagte den Bescheid vom … März 2014 gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf.
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte als unbegründet zurückwies.
Die Klägerin trägt vor, dass der Beklagte und das Finanzamt Z sich geeinigt hätten, dass der Beklagte eine einheitliche und gesonderte Feststellung durchzuführen habe. Dies sei auch geboten gewesen, da der Beklagte besser mit den Verhältnissen der Klägerin vertraut gewesen sei. Nach § 180 Abs. Satz 2 AO richte sich die örtliche Zuständigkeit bei einer späteren Änderung der maßgebenden Verhältnisse auch für vergangene Feststellungszeiträume nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AO i.V.m. § 2...