rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzungsbefugnis des FA. Anforderungen an die Verprobung des Wareneinsatzes und an eine Nachkalkulation
Leitsatz (redaktionell)
1. Etwaige Mitwirkungsmängel bei einer Verprobung des Wareneinsatzes sind nicht mit Buchführungsmängeln gleichzusetzen und berechtigen demzufolge nicht zu einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen.
2. Eine eher grobe, überschlagsmäßige Berechnung zur Verprobung des Wareneinsatzes ist nicht geeignet, eine Schätzungsbefugnis zu begründen.
3. Da eine Nachkalkulation mit Unsicherheitsfaktoren verbunden ist und ihrem Wesen nach selbst eine Schätzung darstellt, so dass also die Schätzungsbefugnis erst durch eine Schätzung begründet wird, müssen an diese hohe Anforderungen gestellt werden. Sie muss einwandfrei erfolgen, den Unsicherheiten Rechnung tragen und zu dem Ergebnis führen, dass das Buchführungsergebnis nicht richtig sein kann. Diesen Anforderungen ist nicht genügt, wenn unterschiedlichen Warengruppen zu einem Gesamtwareneinsatz zusammengefasst werden und ein einheitlicher Aufschlagsatz angewendet wird.
Normenkette
AO §§ 158, 162 Abs. 1-2
Tenor
1. Die Bescheide über Einkommensteuer 2008 vom 31. Mai 2013 und Einkommensteuer 2009 vom 8. Januar 2013, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. März 2015, werden dahingehend geändert, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 58.761,– EUR für 2008 und 80.989,– EUR für 2009 unberücksichtigt bleiben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Zur Klagerücknahme für die Einkommensteuer 2007 ergeht der Beschluss, dass das Verfahren eingestellt wird.
Tatbestand
Streitig ist der Ansatz von verdeckten Gewinnausschüttungen.
Kläger hält 50 % der Anteile an der C. GmbH (nachfolgend: GmbH) und war einer von zwei alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführern. Die GmbH wurde ausweislich der Handelsregistereintragung mit Gesellschaftsvertrag vom 13. März 2007 gegründet. Sie betrieb in den Streitjahren 2007 bis 2009 einen Versand- und Interneteinzelhandel mit Textilien, Bekleidung, Schuhen und Lederwaren. Gegenstand des Unternehmens war laut Handelsregister darüber hinaus der Entwurf von Textilien. Laut Handelsregister wurde durch Beschluss vom 18. September 2012 ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und zugleich angeordnet, dass Verfügungen der GmbH nur mit seiner Zustimmung wirksam seien. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2012 erfolgte laut Handelsregistereintragung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen GmbH.
In den Jahren 2011 und 2012 ließ der Beklagte bei der GmbH eine Betriebsprüfung durchführen, die mit Bericht vom 20.09.2012 endete. In den übergebenen Akten des Beklagten sind Ausschnitte des Berichts in Kopie vorhanden. Der Bericht beginnt unter Abschnitt B mit der Feststellung der Art der Gewinnermittlung (Ziffer 1) sowie der Art der Buchführung (Ziffer 2). Unter dem weiteren Punkt „Buchführungsmängel” (Ziffer 3) enthält der Bericht keine Eintragungen. In Abschnitt D „Prüfungsfeststellungen” wird unter der Überschrift „VGA Waren” ausgeführt: „Für eine Verprobung des Wareneinsatzes sollten u. a. Angaben dazu gemacht werden, mit welchem Aufschlagsatz die Waren kalkuliert werden. Außerdem sollten detaillierte Aufzeichnungen und Unterlagen zu etwaigen Fehleinkäufen oder verbilligten Warenabgaben/Restpostenverkäufe vorgelegt werden sowie Erläuterungen zu Musterkollektionen oder Warenrücksendungen wegen Qualitätsmängeln. Eine Rückantwort steht bis zum heutigen Tage aus. Zudem liegen auch die angeforderten Unterlagen zur Inventur zum 31.12.2008 und 31.12.2009 nicht vor. Ebenso fehlen Angaben zu unentgeltlichen Wertabgaben an die Gesellschafter sowie andere Personen. Eine Verprobung des Umsatzes im Verhältnis zum Wareneinsatz konnte somit nur nach Aktenlage erfolgen. Ein Vergleich der Einkaufspreise und der Nettoverkaufspreise ergab einen durchschnittlichen Wertaufschlag von 105 %. …” Sodann enthält der Bericht für jedes der Streitjahre eine Zahlenangabe für den Wareneinsatz, eine Zahlenangabe „Umsatz lt. Verprobung” sowie die Feststellung „Differenz zum tats. Umsatz” mit jeweils einer Betragsangabe. Es ergaben sich Differenzsummen von 41.000,– EUR für 2007, 346.000,– EUR für 2008 und 654.000,– EUR für 2009. Unter der Überschrift „VGA Musterteile” folgt ein Ansatz von 11.578,– EUR für 2008 sowie 20.864,– EUR für 2009. Hierzu heißt es im Bericht: „Die betriebliche Veranlassung der Aufwendungen für sog. ‚Musterteile' wurde nicht konkretisiert”. Diese Kosten aus im Einzelnen genannten Buchhaltungskonten seien als durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst anzusehen, „als VGA” dem Gewinn hinzuzurechnen und jeweils entsprechend der Beteiligung auf die Gesellschafter zu verteilen. In der übergebenen Rechtsbehelfsakte ist die Kopie eines S...