Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnsitz bei "unerlaubtem" Verlassen der DDR. Innehaben einer Wohnung. Investitionszulage. Investitionszulage 1993

 

Leitsatz (redaktionell)

1. „Innehaben” im Sinne des § 8 AO bedeutet, dass der Steuerpflichtige tatsächlich über die Wohnung verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch in größeren Zeitabständen aufsucht.

2. Im Falle eines „unerlaubten” Verlassens der ehemaligen DDR und der Umsiedlung in die BRD war davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz wie auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der DDR aufgegeben hat. Für die Beurteilung dieser Frage ist auf die tatsächlichen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt (hier) August 1988 abzustellen, spätere, zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare (hier politische: Wiedervereinigung) Ereignisse haben außer Betracht zu bleiben.

3. Hat der Inhaber von 50 % der Anteile an einer GbR nach den vorstehenden Grundsätzen (Leitsätze 1 und 2) am 9.11.1989 keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet gehabt, so hat die Gesellschaft keinen Anspruch auf die erhöhte Investitionszulage nach § 5 Abs. 2 InvZulG.

 

Normenkette

InvZulG 1993 § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. b; AO 1977 § 8

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens fallen der Klägerin zur Last.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin, einer zweigliedrigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts, gemäß § 5 Abs.2 die erhöhte Zulage von 20 v.H. zusteht, weil mehr als die Hälfte der Anteile unmittelbar Steuerpflichtigen zuzurechnen ist, die am 09.11.1989 einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 Einigungsvertrag genannten Gebiet hatten. Umstritten ist insbesondere, ob ein Gesellschafter trotz Republikflucht den Wohnsitz in der ehemaligen DDR beibehalten hat.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Gegenstand des Unternehmens im Streitjahr war die Ausführung von Dach-, Wand- und Bodenbeschichtungen. Gesellschafter waren im Streitjahr 1993 mit jeweils einem Anteil von 50 v.H. Herr V. L. (L) sowie sein Vater E. L.. Der im Jahre 1968 geborene L war nach dem Besuch der Berufsschule von 1984 bis 1986 bei der Firma S.druck in P. beschäftigt und erwarb dort den Abschluß eines Meß- und Regelelektronikers. Weil er nach seinen Angaben nicht zum Studium zugelassen wurde und weil sein Antrag auf Ausreise im Jahr 1987 abschlägig beschieden wurde, entschloß er sich zur Flucht. Er verließ im August 1988 ohne Ausreisegenehmigung die DDR und gelangte mit einem Schlauchboot über die Ostsee nach F.. Von dort aus reiste er in die Bundesrepublik ein. Nach Lageraufenthalten in G. und R. fand er vier Wochen später zunächst bei der Firma W. C. in R. bei S. eine Anstellung in seinem bisherigen Beruf als Meß- und Regelelektroniker. Danach war er als Servicetechniker bei der Firma F. B. in R. tätig. Im Jahre 1989 gab er diese Tätigkeit auf, um eine zweijährige Ausbildung an der Fachschule für Technik in R. im Fachbereich Datenelektronik zum Elektrotechniker – Fachrichtung Datenelektronik – zu absolvieren. Ab 23. Dezember 1989 besuchte L zum erstenmal seit der Flucht seine Eltern in P.. In der Folgezeit hielt sich L mehrfach kurzfristig in P. auf und knüpfte hierbei auch Beziehungen zu einem US-amerikanischen Hersteller für Beschichtungswerkstoffe. Nach Unterzeichnung eines Gebietsvertretungsvertrag für den Raum Südsachsen mit der Firma RPM im Mai 1990 brach C seine Ausbildung ab und zog am 30.06.1990 nach P. um. Dort bewohnte er nach seinen Angaben ein Zimmer bei seinen Eltern. Abmeldung von der bisherigen Wohnung in Pf. erfolgte am 14.06.1991 durch den Vermieter. Ausweislich des zum 18.07.1988 ausgestellten DDR-Ausweises hatte L vor seiner Flucht als Hauptwohnung „Z., B.weg 2” und als Nebenwohnung „P., H. Str. 32” angegeben.

Die Klägerin beantragte am 10.05.1994 für 1993 die erhöhte Investitionszulage von 20 v.H. von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 299.457 DM (= 59.892 DM).

Der Beklagte – das Finanzamt (FA) – entsprach diesem Begehren zunächst mit einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid. Im Anschluß an eine bei der Klägerin durchgeführte Außenprüfung ermäßigte das FA aus hier nicht im Streit befindlichen Gründen die Bemessungsgrundlage auf 251.870 DM u n d versagte weiterhin die erhöhte Zulage, weil die Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs.2 Satz 1 Nr.1c InvZulG 1993 erfülle. Mit Bescheiden vom 03.04.1996 forderte das Finanzamt dementsprechend Investitonszulage in Höhe von 20.150 DM zurück und verlangte die Zahlung von Zinsen in Höhe von 4.367 DM.

Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage.

Zur Begründung trägt sie vor: Die gesetzlichen Voraussetzungen für die erhöhte Zulage lägen vor. L habe trotz der Flucht aus der DDR im August 1998 zum maßgeblichen Stichtag 09.11.1989 seinen Wohnsitz im Fördergebiet gehabt. Der Sachverhalt stelle sich wie folgt dar. L habe bei seinen Eltern gewohnt, zunächst am B.weg 2 in Z. und nach dem Umz...

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