rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Vom Arbeitgeber der zentralen Erfassungsstelle der FinVerw. schon vor Erlass des Einkommensteuerbescheids des Arbeitnehmers elektronisch zugeleitete Lohnsteuerbescheinigung keine neue Tatsache bei Ungewissheit über den Zeitpunkt des Eingangs dieser Information beim FA
Leitsatz (redaktionell)
1. Als der zuständigen Dienststelle i. S. d. § 173 Abs. 1 AO „bekannt” gelten neben dem Inhalt der bei der Dienststelle in Papierform geführten Akten auch sämtliche Informationen, die dem zuständigen Sachbearbeiter von vorgesetzten Dienststellen über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt werden, ohne dass insoweit die individuelle Kenntnis des jeweiligen Bearbeiters maßgeblich ist.
2. Hat der Steuerberater inländischen Arbeitslohn der ins Ausland verzogenen beschränkt Steuerpflichtigen für steuerfrei gehalten und deswegen nicht in der Steuererklärung angegeben, so darf der bestandskräftig gewordene Einkommensteuerbescheid nicht nach § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO geändert werden, wenn die vom Arbeitgeber erstellte elektronische Lohnsteuerbescheinigung schon vor Erlass des Einkommensteuerbescheids der bundesweiten zentralen Clearingstelle der FinVerw. zugeleitet worden ist und sich nicht mehr genau feststellen lässt, wann die Lohndaten an das Bundesland, in dem sich das FA befindet, weitergeleitet worden sind, und ab wann sie dem zuständigen FA zur Verfügung gestanden haben.
3. Die Finanzbehörde trägt genauso wie bei Informationen in Papierform auch bei elektronischen Informationen die Feststellungslast für die tatsächlichen Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO, insbesondere dafür, dass eine „neue Tatsache” vorliegt. Das gilt insbesondere dann, wenn die elektronische Information das zuständige FA nicht direkt erreicht, sondern aufgrund interner Organisation der FinVerw. zunächst über eine zentrale Erfassungsstelle geleitet wird. Soweit die Bearbeitung auf der Grundlage elektronischer Daten erfolgt, liegt es im Verantwortungsbereich der FinVerw., für eine entsprechende Darstellung des Verfahrensablaufs – einschließlich der erforderlichen elektronischen Erfassung von Eingangsdaten – für den einzelnen Steuerfall zu sorgen, die hinreichend nachvollziehbar ist und die auch die erforderliche Beweiskraft aufweist.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid für 2008 vom 13. September 2013 wird dahingehend geändert, dass Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von 108.978,96 EUR unberücksichtigt bleiben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheides.
Die Klägerin erzielte unter anderem Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit bei der S. AG & Co KG (nachfolgend: S.). Im November 2007 schlossen die S. und die Klägerin einen Vertrag über die Aufhebung des klägerischen Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2013. Die Parteien vereinbarten unter anderem, dass die Klägerin ab sofort von der Arbeit freigestellt werde und bis Juni 2008 weiterhin monatliche Einkünfte sowie Bonuszahlungen erhalte. Im Januar 2008 verzog die Klägerin nach M. (im Ausland) und meldete sich zum 31. Januar 2008 von K. nach dort ab. Die S. führte die vereinbarten Lohnzahlungen aus, die für das Streitjahr 2008 eine Lohnsumme von insgesamt 108.978,96 EUR ergaben. Die S. unterwarf diese dem Lohnsteuerabzug und übermittelte der Finanzverwaltung die Lohndaten auf elektronischem Wege. Dies geschah am 22. April 2009.
Die klägerische Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2008 erstellte der Prozessbevollmächtigte als ihr Steuerberater. Er unterzeichnete sie mit dem Zusatz „im Auftrag” und erklärte darin für die Klägerin als beschränkt Steuerpflichtige inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie aus Vermietung und Verpachtung. Die genannten Lohnzahlungen sowie die einbehaltenen Steuerabzüge nahm er nicht in die Erklärung auf. Er hält diese für steuerfrei. Die Einkommensteuererklärung ging am 8. März 2010 beim Finanzamt K. ein. Dieses gab den Steuerfall an das Finanzamt D. ab, in dessen Zuständigkeitsbereich sich eines der vermieteten Grundstücke befand. Unter dem 3. November 2010 erließ das Finanzamt D. gegenüber der Klägerin sodann einen Einkommensteuerbescheid für 2008. Die Lohneinkünfte der Klägerin blieben unberücksichtigt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Bescheid vom 3. Juli 2012 änderte der Beklagte als Nachfolger des Finanzamtes D. die Steuerfestsetzung unter Bezugnahme auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Er berücksichtigte nunmehr die Lohneinkünfte aus dem Arbeitsverhältnis bei der S.. Die übergebene Einkommensteuerakte enthält hierzu einen undatierten Ausdruck aus einem elektronisch geführten „Lohndatenmanager...