Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Kindergeldanspruch der mit den Kindern in Polen lebenden und dort berufstätigen, vom Kindsvater geschiedenen Kindsmutter

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Lebt die vom Vater der Kinder geschiedene Kindsmutter mit den Kindern in Polen, wo sie auch berufstätig ist, steht ihr kein Anspruch auf deutsches Kindergeld zu.

2. Über einen etwaigen Kindergeldanspruch des von seinem Arbeitgeber nach Deutschland entsandten Vaters für die im Haushalt der Mutter lebenden Kinder ist in dem ihren eigenen Kindergeldanspruch betreffenden Klageverfahren der Mutter nicht zu entscheiden.

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 3; EGVO 883/2004 Art. 67 S. 1, Art. 12; EGVO 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 01.07.2020; Aktenzeichen III R 39/18)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten wegen Kindergeld für die Kinder (geboren 2005) und (geboren 2013) in den Zeiträumen April 2015 bis April 2016 und November 2016 bis Dezember 2016.

Die Klägerin ist die Mutter der beiden Kinder und. Sie ist vom Vater der Kinder, Herrn, seit dem 3. März 2015 geschieden. Die Kinder leben im Haushalt der Klägerin in Polen.

Der Vater der Kinder wurde im Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis 30. April 2016 und vom 1. November 2016 bis zum 1. September 2017 von der Firma …. Z.O.O. in Deutschland beschäftigt. Auf die Entsendebescheinigungen vom 8. August 2016 und vom 8. Januar 2018 wird Bezug genommen (Blatt 34, 35 der Finanzgerichtsakte). Die Arbeitgeberin bescheinigte Herrn, dass eine Sozialversicherungspflicht in Deutschland nicht bestehe, weil er in Polen sozialversichert sei.

Den Antrag der Klägerin auf Kindergeld lehnte die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. September 2016 ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 22. November 2016, die an die Adresse der Klägerin nach Polen versandt wurde).

Hiergegen richtet sich die am 13. Januar 2017 erhobene Klage. Die Klägerin macht geltend, der Vater ihrer Kinder sei in den Zeiträumen April 2015 bis April 2016 und November 2016 bis Dezember 2016 als Arbeitnehmer nach Deutschland entsandt worden. Er habe daher in diesen Zeiträumen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Sie sei nach den EG-VO 883/2004 und 987/2009 so zu behandeln als wohne sie mit den Kindern in Deutschland. Es entspreche ständiger Rechtsprechung des EuGH und des BFH, dass in solchen Fällen der im Ausland lebende Elternteil einen Anspruch auf Kindergeld habe. Die Gesamtschau der Art. 11 ff. der VO 883/2004 zeige auch vor dem Hintergrund der Erwägungsgründe, die zu dem Erlass der Verordnung geführt hätten, dass die Entsendungstätigkeit aus Gleichbehandlungsgründen dem vorrangigen Anspruch der Kindsmutter nicht entgegenstehe. Art. 12 der VO 993/2004 gelte nur für das Sozialversicherungsrecht. Da der Vater der Kinder der deutschen Einkommensteuer unterliege, bestehe auch unter dem Gesichtspunkt der Freizügigkeit kein Grund, seine Kinder vom Kindergeldbezug auszunehmen.

Die Klägerin beantragt,

den ablehnenden Bescheid vom 19. September 2016 und die Einspruchsentscheidung vom 22. November 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für ihre Kinder und für die Monate April 2015 bis April 2016 und November 2016 und Dezember 2016 Kindergeld in gesetzlicher Höhe festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bekräftigt und vertieft die Ausführungen der Einspruchsentscheidung.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Steuerakten und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten auf eine solche verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 FGO).

I. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der ablehnende Bescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Klägerin steht für den streitigen Zeitraum kein Kindergeld nach dem EStG zu.

Die Klägerin hat nicht – wie dies § 62 Abs. 1 Satz 1 EStG für einen Anspruch auf Kindergeld voraussetzt – Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ist hier auch nicht nach § 1 Abs. 2 EStG oder § 1 Abs. 3 EStG steuerpflichtig.

Ein inländischer Wohnsitz oder Aufenthalt ist auch nicht nach Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO 987/2009 zu fingieren. Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO 987/2009 ist bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedsstaates fielen und dort wohnten. Nach Art. 67 der VO 883/2004 hat eine Peron auch für Familienangehörige, die in einem a...

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