Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensgegenstand. Anfechtung eines verbundenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheides. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bestimmtheit und Begründung des Verwaltungsakts. Anhörungsmangel. Umdeutung. Heilung. Anhörung in Bezug auf Vertrauensausschlusstatbestände
Leitsatz (amtlich)
1. Da Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist, ist es dem Gericht verwehrt, bei einer Anfechtung einer Rückforderungsentscheidung einen anderen Vertrauensausschlusstatbestand zu prüfen als denjenigen, der im angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides enthalten ist.
2. Im Fall einer Teilaufhebung für einen Gesamtzeitraum ist es nicht ausreichend, wenn nur die Höhe eines Gesamtbetrages ohne Konkretisierung dieses Betrags für die einzelnen Bewilligungszeiträume angegeben wird. Erforderlich ist vielmehr, dass sich aus dem Verfügungssatz, gegebenenfalls nach einer Auslegung, die bezifferten Teilbeträge für die jeweiligen von der Aufhebungsentscheidung betroffenen Bewilligungszeiträume ergeben.
3. In Bezug auf die Erstattungsforderung ist es grundsätzlich ausreichend, wenn sich aus dem Verfügungssatz nur der Gesamtbetrag entnehmen lässt. Denn wie sich der Gesamtbetrag der Erstattungsforderung berechnet, ist nicht eine Frage der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit, sondern der hinreichenden Begründung des Verwaltungsaktes.
4. Auch wenn die Erstattungsforderung entsprechend der Vorgabe des § 50 Abs 3 S 2 SGB 10 mit der Aufhebungsentscheidung verbunden wird, ändert dies nichts daran, dass es sich bei dem Erstattungsverlangen um einen eigenständigen Verwaltungsakt handelt, der seinerseits in die Rechte des Klägers eingriff und deshalb vor seinem Erlass eine entsprechende Anhörung voraussetzte (Anschluss an BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R = BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2).
5. Zur Anhörung in Bezug auf Vertrauensausschlusstatbestände:
a) Bei dem Vorwurf nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10, der Betroffene sei seiner vorgeschriebenen Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen, muss die Behörde im Rahmen der Anhörung Tatsachen sowohl zu den objektiven als auch den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen angeben. Auf objektiver Tatbestandsseite ist dies die Nichterfüllung der Mitteilungspflicht. Dies ist der Fall, wenn die Pflichterfüllung ganz oder teilweise unterlassen worden ist, wenn unrichtige Angaben gemacht worden sind, oder wenn die Mitteilung nicht unverzüglich erfolgt ist und dadurch die Bewilligungsentscheidung leistungserheblich nicht früher hat aufgehoben werden können. Auf subjektiver Tatbestandsseite sind die Tatsachen anzugeben, auf die der Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit gestützt wird.
b) Die Tatbestandsvoraussetzung soweit in § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 hat für die durchzuführende Anhörung zur Folge, dass sich die Anhörung nicht nur auf die die Aufhebung rechtfertigende wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse dem Grunde nach, sondern auch der Höhe nach zu erstrecken hat.
6. Eine Anhörung zum Vertrauensausschlusstatbestand in § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10 kann nicht in eine Anhörung zu dem in § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB 10 umgedeutet werden, weil sich beide Vorschriften in zeitlicher Hinsicht unterscheiden.
7. Die bloße Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung allein bewirkt nicht die Heilung eines Anhörungsmangels. Vielmehr wird ein Anhörungsmangel im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nur dann geheilt, wenn der Bescheid selbst alle wesentlichen Tatsachen enthält.
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 4. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten hat der Beklagte in beiden Verfahrenszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 30. April 2007 und die damit verbundene Rückforderung der gezahlten Leistungen in Höhe von zuletzt 6.823,17EUR.
Die Klägerin stand gemeinsam mit ihrem Ehemann R… N… (Kläger im Rechtsstreit Az. L 3 AS 580/11) seit dem 1. November 2005 im Leistungsbezug der Vorgängerin des Beklagten. Am 6. September 2005 beantragte sie erstmals Leistungen bei der ARGE L… und wies darauf hin, dass ihr Arbeitslosengeldbezug am 3. November 2005 ende. Zudem gab sie ein Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ihres Ehemannes in Höhe von monatlich 800,00 EUR bis 1.000,00 EUR an. Des Weiteren legte sie eine betriebswirtschaftliche Auswertung der selbstständigen Tätigkeit des Ehemannes vom Juni 2005 vor, welche Betriebseinnahmen des Ehemannes in Höhe von 1.159,60 EUR und Betriebsausgaben in Höhe von 1.228,25 EUR auswies.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2005 bewilligte die ARGE L… den Mitgliedern d...