Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. versicherungspflichtige Beschäftigung. Berufsausbildung. Studierender an einer Berufsakademie. fiktive Bemessung. fehlende Ausbildungsvergütung. Bezugsgröße West. Wohnsitz. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Auf der Grundlage des Sächsischen Berufsakademiegesetzes (BerAkadG SN) sind Studierende grundsätzlich als zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig.
2. Wird dem Studierenden von seinem Ausbildungsbetrieb (Praxispartner) keine Ausbildungsvergütung gezahlt, ist das Bemessungsentgelt nach § 132 SGB 3 idF des ArbMDienstLG 3 typisierend und pauschalierend zu ermitteln. Die entgegenstehende Verwaltungspraxis der Bundesagentur für Arbeit, ein jenseits von § 132 SGB 3 frei ermitteltes, pauschalierendes Bemessungsentgelt zugrunde zu legen, ist rechtswidrig.
3. Dem Wohnsitz eines Arbeitslosen kann keine zwingende Bedeutung zukommen, wenn er sich für Vermittlungsbemühungen im gesamten Bundesgebiet zur Verfügung stellt (Anschluss an BSG vom 23.11.1988 - 7 RAr 6/87 = BSGE 64, 174 = SozR 4100 § 112 Nr 42).
4. § 408 Nr 1 SGB 3 findet keine Anwendung. Auch bei einer entsprechenden Anwendung ist grundsätzlich die Bezugsgröße West anzuwenden. Ausnahmen davon können allenfalls dann gegeben sein, wenn der Arbeitslose seine Vermittlungsbemühungen auf das Beitrittsgebiet beschränkt oder er aufgrund seiner beruflichen Qualifikation und der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt nur im Beitrittsgebiet vermittelbar ist.
5. § 132 SGB 3 verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 14. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
II. Auf die Anschlussberufung des Klägers und seine weitergehende Klage wird die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 08. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 und des Bescheides vom 28. Februar 2008 verurteilt, dem Kläger bei Zuordnung zur Qualifikationsgruppe 1 Arbeitslosengeld vom 01. Oktober 2007 bis 16. März 2008 auf der Grundlage einer fiktiven Bemessung nach § 132 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III und unter Heranziehung der Bezugsgröße West zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für die Zeit vom 01.10.2007 bis 16.03.2008 höheres Arbeitslosengeld zusteht.
Der am … 1980 geborene Kläger (ledig, keine Kinder, Lohnsteuerklasse I) absolvierte in der Zeit vom 27.08.2001 bis 16.06.2004 eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Vom 01.10.2004 bis 30.09.2007 studierte er an der Berufsakademie G. . Das Studium schloss er als "Diplom-Betriebswirt (Berufsakademie) - Dipl.-Betriebswirt (BA)" in der Studienrichtung Bauwirtschaft ab. Seine Praxispartnerin während dieses Studiums war die Firma "L. GMBH" (im Folgenden: die Praxispartnerin) in G. . Eine Ausbildungsvergütung wurde nicht vereinbart und tatsächlich auch nicht gezahlt (Arbeitsbescheinigung der Praxispartnerin vom 14.09.2007). Bestandteil des Ausbildungsvertrages vom 15.07.2004 waren die "umstehenden Nebenabreden mit den Punkten 1 bis 11". Insoweit wird auf Blatt 30 der Akte des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) verwiesen. Die Praxispartnerin entrichtete während der gesamten Dauer des Ausbildungsvertrages für den Kläger Beiträge zur Arbeitslosenversicherung unter Zugrundelegung eines Arbeitsentgelts in Höhe von einem Prozent der Bezugsgröße (vgl. § 342 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]).
Am 27.09.2007 meldete sich der Kläger bei der Beklagten mit Wirkung zum 01.10.2007 arbeitslos. Dabei gab er an, alle Möglichkeiten zu nutzen, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Mit Bescheid vom 08.10.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger vom 01.10.2007 bis 30.09.2008 Arbeitslosengeld unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts von 22,59 EUR, das er vom 01.10.2007 bis 16.03.2008 bezog. Der tägliche Leistungssatz belief sich auf 10,71 EUR (Lohnsteuerklasse I, allgemeiner Leistungssatz). Hiergegen legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, er wisse von Kommilitonen, deren Arbeitslosengeld bei gleichen Voraussetzungen - unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts von 70,00 EUR - 27,16 EUR täglich betrage. In diesen Fällen sei die Beklagte zutreffend von der Regelbemessungsgrenze für ausgelernte Diplom-Betriebswirte in Höhe von 2.100,00 EUR ausgegangen. Mit am 30.10.2007 versandtem Widerspruchsbescheid vom selben Tage wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Für Zeiten einer Beschäftigung zur Berufsausbildung, für die keine Ausbildungsvergütung gezahlt worden sei, sei bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes dasjenige Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen, das vergleichbare betriebliche Auszubildende als tarifliche Ausbildungsvergütung erhielten. Die Festle...