Leitsatz
1. Säumniszuschläge entstehen gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kraft Gesetzes.
2. Nach Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren sind die während der Masseunzulänglichkeit geltenden Aufrechnungsverbote nicht mehr anzuwenden.
Normenkette
§ 218, § 226, § 240, § 251 Abs. 2 AO, § 95, § 96, § 208, § 209 Abs. 1 Nr. 3, § 210 InsO, §§ 387 ff. BGB
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH. Kurz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zeigte er am 6.6.2011 gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO Masseunzulänglichkeit an, im Juli 2012 zeigte er wiederum Massezulänglichkeit an.
In dem Zeitraum der Masseunzulänglichkeit gab der Kläger Umsatzsteuererklärungen ab, darunter eine USt-Voranmeldung für Juni 2011 unter der Massesteuernummer. Die Steuer wurde nicht entrichtet. Die Berichtigung der USt-Voranmeldung führte zu niedrigeren Vorauszahlungen, die bis Mai 2012 durch Umbuchungen getilgt wurden.
Das FA äußerte sich Anfang Juni 2012 in einem an den Kläger übersandten Aktenvermerk zu den Säumniszuschlägen. Unabhängig hiervon berechnete es Säumniszuschläge zur USt-Vorauszahlung für Juni 2011 unter der Massesteuernummer und buchte Vorsteuerguthaben für das Jahr 2013 und das zweite Quartal 2014 auf diese Säumniszuschläge um. Später erließ das FA die Hälfte der Säumniszuschläge. Eine Klage auf vollständigen Erlass blieb vor dem FG erfolglos (FG Nürnberg, Urteil vom 19.6.2018, 2 K 1310/16).
Auf Antrag des Klägers erging ein Abrechnungsbescheid, in dem das FA die Umbuchung bestätigte. Die gegen diesen Abrechnungsbescheid erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG Nürnberg, Urteil vom 18.7.2018, 2 K 1311/16, Haufe-Index 12024513, EFG 2018, 1690). Dagegen richtet sich die Revision des Klägers. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit verhindere die Entstehung von Säumniszuschlägen. Anderenfalls werde dem Fiskus eine systemwidrige Sonderstellung zugebilligt.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision aus den unter den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
Der Streitfall befasst sich mit den Auswirkungen der Masseunzulänglichkeit auf das Besteuerungsverfahren.
Masseunzulänglichkeit nach § 208 InsO liegt vor, wenn die Masse zwar ausreicht, um die Verfahrenskosten nach § 54 InsO voll zu erfüllen, nicht jedoch, um die sonstigen Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO zu decken. Sobald der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, sind Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der Massegläubiger i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig (§ 210 InsO). Das gilt auch für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 251 Abs. 2 Satz 1 AO). Diese Einschränkungen betreffen nur die Vollstreckung, nicht jedoch die Entstehung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (BFH, Urteil vom 1.6.2016, X R 26/14, BFH/NV 2016, 1520, BStBl II 2016, 848). Auch die Fälligkeit wird nicht berührt.
Die Entstehung von Säumniszuschlägen richtet sich allein nach § 240 AO. Danach entstehen für jeden angefangenen Monat der Säumnis Säumniszuschläge, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Daraus ergibt sich nach Ansicht des BFH auch keine systemwidrige Sonderstellung des Fiskus. Allenfalls könnte ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen infrage kommen (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 10.12.2002, 12 K 2966/02 AO, Haufe-Index 1458298), was jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung war.
Nachdem der BFH die Entstehung der Säumniszuschläge bejaht hatte, hielt er auch die Aufrechnung durch das FA nach Anzeige wiedererlangter Massezulänglichkeit für wirksam. Eine solche Rückkehr in das reguläre Insolvenzverfahren sieht die InsO nicht ausdrücklich vor. Sie ergibt sich jedoch als actus contrarius, wenn die Voraussetzungen für die Masseunzulänglichkeit wegfallen (vgl. Ries, in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 208 Rz. 22 m.w.N.). Im regulären Insolvenzverfahren kann das FA gegen Masseverbindlichkeiten mit Masseforderungen aufrechnen. Aufrechnungsverbote (analog § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO oder § 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 InsO) sind nicht mehr zu rechtfertigen. Die Gefahr, dass die für die Verteilung der unzulänglichen Masse geltenden Regeln durch eine Aufrechnung unterlaufen werden könnten, besteht nicht mehr, wenn die Masse wieder zulänglich geworden ist und die Erfüllung sämtlicher Masseverbindlichkeiten erwartet werden kann.
Der Kläger konnte sich auch nicht auf einen ihm übersandten Aktenvermerk des FA stützen. Dabei ließ der BFH offen, ob das FA sich darin schriftlich tatsächlich gegen die Entstehung der Säumniszuschläge (so das FG im Tatbestand Rz. 5) – oder lediglich gegen deren Erhebung – ausgesprochen hatte. Wenn das FA eine Rechtsansicht äußert, kann das allenfalls – unter engen Voraussetzungen – zu einer Bindung für die Zukunftführen. Im Streitfall waren die Säumniszuschläge kraft Gesetzes jedoch schon in voller Höhe entstanden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.9.2019 – VII R 31/18