Leitsatz
1. Ein saldierungsfähiger materieller Fehler i.S.d. § 177 Abs. 3 AO ist auch dann gegeben, wenn das FA einen Grundlagenbescheid nicht rechtzeitig ausgewertet hat und daher durch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung an einer Auswertung gehindert ist.
2. Zur Ermittlung des Umfangs des Saldierungsrahmens i.S.d. § 177 AO ist nicht allein auf den zu erlassenden Änderungsbescheid abzustellen. Vielmehr sind auch alle Änderungen heranzuziehen, die aufgrund der Anwendung selbstständiger Korrekturvorschriften zugunsten und zulasten des Steuerpflichtigen in denjenigen Bescheiden vorgenommen worden sind, die dem zu erlassenden Änderungsbescheid vorangegangen, aber nicht formell bestandskräftig geworden sind.
Normenkette
§ 177 Abs. 2 und 3 AO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine KG, war zum 1.1.1986 an einer Vielzahl von Kapital- und Personengesellschaften beteiligt. Im Juni 1988 stellte das FA den Einheitswert des Betriebvermögens der Klägerin auf den 1.1.1986 unter VdN erstmals fest. Dabei waren die Beteiligten erklärungsgemäß berücksichtigt. Die entsprechenden Grundlagenbescheide über die Anteilswerte bzw. Einheitswerte des Betriebsvermögens der Tochtergesellschaften lagen bis Ende 1992 bestandskräftig vor.
Von 1988 bis 1996 fand bei der Klägerin eine Außenprüfung statt, die auch die Einheitsbewertung ihres Betriebsvermögens zum 1.1.1986 umfasste. Dabei ermittelten die Prüfer u.a. um rd. 32 Mio. DM höhere Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, um rd. 9 Mio. DM höhere Beteiligungen an Personengesellschaften und zusätzliche Steuerrückstellungen von rd. 4 Mio. DM. Nach Abschluss der Außenprüfung ist der Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin auf den 1.1.1986 mehrfach geändert worden, wobei das FA schwankte, ob es die Mehransätze für die Gesellschaftsbeteiligungen unter Verjährungsgesichtspunkten noch berücksichtigen dürfe. Es ergingen folgende Bescheide:
a) Dezember 1996: Heraufsetzung des Einheitswerts durch Änderung nach § 164 Abs. 2 AO; nur Mehransatz für Personengesellschaften nicht berücksichtigt; Einspruch
b) Oktober 2001: Herabsetzung des Einheitswerts durch Einspruchsentscheidung; nunmehr auch Mehransatz für Kapitalgesellschaften wieder gestrichen; Klage
c) November 2003: Heraufsetzung durch Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO; nunmehr beide Mehransätze für das Beteiligungsvermögen doch berücksichtigt.
Die Klage, mit der die Klägerin sich u.a. wegen Feststellungsverjährung gegen die Mehransätze für ihr Beteiligungsvermögen wandte, blieb erfolglos.
Entscheidung
Der BFH gab der Revision teilweise statt. Er verwies zunächst darauf, dass die Außenprüfung nach § 171 Abs. 4 AO zu einer Ablaufhemmung der Feststellungsfrist für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Klägerin geführt hat. Diese Ablaufhemmung schloss allerdings nur die Beteiligungen an den Kapitalgesellschaften ein, weil über die Zurechnung dieser Anteile nicht schon im Rahmen der Anteilsbewertung nach § 113a BewG entschieden wurde, sondern erst im Rahmen der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens der Klägerin. Dagegen erfasste die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO nicht die Beteiligungen an den Personengesellschaften, weil über deren Zurechnung bereits auf der Ebene der Tochtergesellschaften entschieden wurde. Insoweit griff auch nicht die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO i.d.F. vor Anfügung des Satzes 2 durch Gesetz vom 23.6.1998 (BGBl I, 1496) ein.
Letzteres hatte das FG verkannt. Die Berücksichtigung des Mehransatzes für Personengesellschaften durch den Änderungsbescheid zu c) war daher wegen Ablaufs der Feststellungsfrist rechtswidrig. Gleichwohl führte dies nicht zu einem Erfolg der Revision in voller Höhe des Mehransatzes von 9 Mio. DM, sondern nur zu einem Teilerfolg von 5 Mio. DM, weil der BFH gem. § 177 Abs. 2 AO den bereits im Änderungsbescheid zu a) berücksichtigten und gegenläufig wirkenden Ansatz für die Steuerrückstellungen von 4 Mio. DM gegenrechnete. Dabei kam dem FA zugute, dass der Einspruch gegen den Bescheid zu a) den Eintritt der Bestandskraft gehindert hatte.
Hinsichtlich der Wiederberücksichtigung des Mehransatzes für die Kapitalgesellschaften im Bescheid zu c) wirkte sich eine andere Rechtsfolge des Einspruchs gegen den Bescheid zu a) aus. Er löste nämlich eine (weitere) Ablaufhemmung aus, und zwar nach § 171 Abs. 3a AO. Dieser Abs. 3a ist erst durch Gesetz vom 22.12.1999 (BGBl I, 2601) geschaffen worden, war aber dennoch im Streitfall bereits anwendbar, weil die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO bei Inkrafttreten des Abs. 3a noch bestand. Sie lief nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO erst Ende 2000 aus. Hinsichtlich der Kapitalgesellschaften ist die Klägerin somit das Opfer zweier nacheinander wirksam gewordener Ablaufhemmungen.
Hinweis
§ 177 AO ist selbst keine Korrekturvorschrift. Er begrenzt lediglich die Wirkung von Korrekturvorschriften. Die im Rahmen von § 177 AO erfolgende Berücksichtigung von Grundlagenbescheiden, die für sich allein wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr ausgewertet werden dürfen,...