2.1 Einordnung der Vorschrift und Überblick über das Neunte Kapitel
Rz. 2h
Das Neunte Kapitel enthält gemeinsame Vorschriften für aktive und passive Leistungen zur Arbeitsförderung. Sie erstrecken sich über das gesamte Leistungsverfahren von der Zuständigkeit und Antragstellung über die Berechnungen bis zur Auszahlung. Außerdem werden Besonderheiten zum Leistungsverfahren geregelt. Die Zusammenfassung in einem Kapitel vermeidet Redundanzen im Gesetz und sorgt damit für mehr Übersichtlichkeit. Nicht zu verkennen ist jedoch, dass die Vorteile in erster Linie dem geübten Leser und Anwender der Vorschriften zugute kommen. Ungeübte Informationssuche wird angesichts des Umfangs des SGB III dagegen erschwert. Das wird besonders deutlich, wenn weitere Kapitel Regelungen zu den Pflichten im Leistungsverfahren und zu Sonderfällen enthalten.
Rz. 2i
Gemeinsame Verfahrensgrundsätze für alle Leistungen sichern eine einheitliche Verwaltungspraxis und beugen insofern insbesondere Rechtsstreitigkeiten vor. Andererseits sind sie stets dazu geeignet, aufbau- und ablauforganisatorische Einrichtungen und Prozesse aufzublähen und zu bürokratisieren. Räumen diese Vorschriften den Agenturen für Arbeit zudem Ermessen ein oder normieren sie vielfältige Ausnahmemöglichkeiten, um der Individualität des Einzelfalles Rechnung zu tragen, ist dies oft ein untrügliches Zeichen für die Entbehrlichkeit der Vorschriften. Das gilt insbesondere bei Reformprozessen, durch die sich eine Massenverwaltung wie die Bundesagentur für Arbeit bei der Arbeitsförderung (und der Grundsicherung für Arbeitsuchende) zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen entwickelt hat, was Kundenorientierung voraussetzt und damit sozialpolitischen Bedürfnissen auch Rechnung trägt, wenn Teilprozesse den Effizienzbestrebungen der Verwaltung entgegenstehen. Außerdem ist stets zu bedenken, dass ungeachtet der Arbeitslosenversicherung die eigentliche Kernaufgabe der Bundesagentur für Arbeit die Integration Arbeitsloser in den Ersten Arbeitsmarkt ist. Damit stimmt es überein, die Leistungsverfahren so effizient wie möglich durchzuführen, um Ressourcen für das operative Beratungs- und Vermittlungsgeschäft einzusparen. Dem steht jede überflüssige Verfahrensregelung entgegen.
Rz. 2j
Der Erste Abschnitt (§§ 323 bis 326) trifft Regelungen zur Antragstellung auf Leistungen der Arbeitsförderung. Wenngleich damit die Antragstellung nicht mehr den materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen zuzurechnen ist, bedeutet sie für den Antragsteller doch einen Stolperstein. Das gilt insbesondere, wenn Anträge keine Rückwirkung entfalten und dadurch finanzielle Leistungen in erheblichem Umfang verloren gehen können. Schwierigkeiten für den Gesetzgeber und die Bundesagentur für Arbeit erwachsen aus Verstößen solcher Regelungen gegen den im SGB I normierten Grundsatz des einfachen und schnellen Zuganges zu den Leistungen, die durch Informations-, Beratungs- und Aufklärungsaufwand der Behörde aufgefangen werden müssen. Dabei kann sich die Verwaltung nicht an ein eingegrenztes Potenzial wenden, sondern muss über aufwendige Broschüren und Informationsarbeit verfahrensrechtliche Erfordernisse flächendeckend kommunizieren. In diesem Zusammenhang sind auch Anforderungen an Antragsformulare zu sehen, die nicht allein dazu geeignet sein dürfen, der Verwaltung eine einfache Prüfung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen für begehrte Leistungen zu ermöglichen, sondern in gleicher Weise darauf ausgelegt werden müssen, dem Antragsteller zu verdeutlichen, welche Leistungen er kraft Gesetzes erlangen kann. Vor diesem Hintergrund sind Regelungen zur Antragstellung in 2020 überprüft worden und greifen nur noch dort Platz, wo sie nach Sinn und Zweck oder wegen der Erfolgsaussichten der Leistung unumgänglich sind. Das wiederum deutet eine drastische Reduzierung auf einzelne Leistungen an, sodass die Regelung auch bei den Vorschriften über diese Leistung hätte angesiedelt werden können. Neuregelungen seit 2020 greifen insbesondere die neu geschaffene Möglichkeit der Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen an Arbeitgeber bei Kurzarbeit, Neuregelungen ab 1.1.2021 die Möglichkeit der Erstattung von Lehrgangskosten bei Weiterbildung der Bezieher von Kug, eine Neuregelung bei elektronischer Antragstellung ab 1.7.2021 das Verfahren nach § 108 SGB IV und ab 1.4.2024 das Verfahren bei Antragstellung auf Qualifizierungsgeld auf.
Rz. 2k
Der Zweite Abschnitt (§ 327) trifft grundsätzliche Regelungen zur Zuständigkeit, die angesichts der modernen Technik, über die die Bundesagentur für Arbeit verfügt, obsolet erscheinen (vgl. auch § 368 Abs. 2). Sie können allenfalls noch unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsprävention (Doppelbezug) akzeptiert werden. Zum 1.4.2024 hat der Gesetzgeber jedoch auch in diese Vorschrift das Qualifizierungsgeld zusätzlich aufgenommen.
Rz. 2l
Der Dritte Abschnitt (§§ 328 bis 336a) regelt Leistungsverfahren in Sonderfällen und hätte deshalb einen besseren Platz als letzten Abschnitt dieses Kapitels gefunden (nach Auszahlung und Berechnungsgrundsätze). Ebenso ...