OFD Hannover, Verfügung v. 20.9.1999, S 0335 - 12 - StH 551/0335 - 79 - StO 321
Können Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden, sind sie zu schätzen § 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Das bedeutet, die Besteuerungsgrundlagen sind mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitserwägungen und -schlüssen dem Grunde wie der Höhe nach so festzusetzen, dass sie der Wirklichkeit am nächsten kommen (BFH-Urteil vom 19.1.1993, VIII R 128/84, BStBl 1993 II S. 594). Eine Schätzung muß deshalb in sich schlüssig, ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein. Insbesondere darf sie keinen Strafcharakter haben.
Ausgehend von diesem Grundsatz weise ich im einzelnen auf folgendes hin:
1. Verfahrensfragen bei der Durchführung von Schätzungen
1.1 Allgemeines zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der Steuererklärung
Der Steuerpflichtige hat es in der Hand, durch Abgabe der Steuererklärung die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen nachzuweisen. Gibt er seine Steuererklärung nicht ab und verletzt er dadurch seine wesentlichste Mitwirkungspflicht in grober Weise, muß er sich die in einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen liegenden Ungenauigkeiten zurechnen lassen (BFH-Urteile vom 26.4.1983, VIII R 38/82, BStBl 1983 II S. 618; vom 18.12.1984, VIII R 195/82, BStBl 1986 II S. 226). Unsicherheiten gehen stets zu seinen Lasten.
Bei der Schätzung sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind § 162 Abs. 1 Satz 2 AO). Das FA muß also alle nachprüfbaren Umstände berücksichtigen. Sind bei einer Schätzung mehrere Sachverhalte möglich, darf es nur dann von der für den Steuerpflichtigen ungünstigsten Fallgestaltung ausgehen, wenn es davon überzeugt ist, dass sie der Wirklichkeit am nächsten kommt (BFH-Urteil vom 31.8.1967, V 241/64, BStBl 1967 III S. 686). Allerdings braucht das FA keine umständlichen und zeitraubenden Ermittlungen anzustellen. Die Verpflichtung des Finanzamts zur Aufklärung des Sachverhalts ist um so geringer, je weniger der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht nachkommt (BFH-Urteil vom 20.5.1969, II 25/61, BStBl 1969 II S. 550).
Nicht geschätzt werden dürfen reine Tatsachen – belastende Unterstellungen – (z.B. dass der Steuerpflichtige ein Gewerbe betreibt). Gleiches gilt aber auch für entlastende Tatsachen (z.B. die Unterstellung der Vornahme von Ausschüttungen bei Körperschaften, die am Anrechnungsverfahren – §§ 27 ff. KStG – teilnehmen). Insoweit finden vielmehr die allgemeinen Beweislastregeln Anwendung.
1.2 Schätzungsgrundsätze
Schätzungen sind weder dem Grunde noch der Höhe nach Ermessensentscheidungen. Das FA hat aber einen Spielraum für die Beurteilung der Frage, welcher Ansatz von Besteuerungsgrundlagen dem zutreffenden Ergebnis am nächsten kommt. Es kann deshalb aufgrund von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls an der unteren Grenze des Schätzungsrahmens bleiben, aber auch an die obere Grenze herangehen, z.B. bei wiederholter Nichtabgabe der Steuererklärung. In der Regel ist es ermessensgerecht, wenn sich das FA bei steuererhöhenden Besteuerungsgrundlagen an der oberen, bei steuermindernden Besteuerungsgrundlagen an der unteren Grenze des in Betracht kommenden Schätzungsrahmens ausrichtet.
Selbst wenn dem FA bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen mehrere grobe Schätzungsfehler unterlaufen sind, so dass Wirklichkeit und Ergebnis der Schätzung stark voneinander abweichen, führt dies nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheids, es sei denn, das FA hätte bewußt zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt (BFH-Beschluss vom 14.4.1989, III B 5/89, BStBl 1990 II S. 351, und BFH-Urteil vom 1.10.1992, IV R 34/ 90, BStBl 1993 II S. 259).
1.3 Gewährung rechtlichen Gehörs
Der Steuerpflichtige ist vor der Durchführung eines Schätzungsverfahrens grundsätzlich einmal an die Abgabe der Steuererklärung zu erinnern. Eine weitere Anhörung oder vorherige Mitteilung, in welcher Höhe voraussichtlich geschätzt werden wird, ist nicht erforderlich, sie kann jedoch im Einzelfall zweckmäßig sein.
1.4 Begründung eines Schätzungsbescheids
Ein wegen unterlassener Abgabe einer Steuererklärung ergangener Schätzungsbescheid erfordert grundsätzlich keine über die Wertangaben hinausgehende Begründung der geschätzten Besteuerungsgrundlagen. Dagegen ist ein Schätzungsbescheid auch der Höhe nach zu begründen, wenn hierfür ein besonderer Anlaß besteht. Ein solcher Anlaß ist z.B. gegeben, wenn das FA ohne ersichtlichen Grund in erheblichem Maße von den Angaben des Klägers in dessen Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgewichen ist (FG Hessen vom 12.12.1978, VIII 10/78, EFG 1979 S. 374).
1.5 Tatsächliche Verständigung in Schätzungsfällen
Auch in Schätzungsfällen ist grundsätzlich eine „tatsächliche Verständigung” mit dem Steuerpflichtigen über die Besteuerungsgrundlagen oder über Einzelheiten eines eingeschlagenen Schätzungsverfahrens zulässig und bindend (BFH-Urteil vom 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl 1985 II S. 354). Da jedoch in den Fällen ...