Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Zusammenfassung
Dem Begriff des Scheinunternehmens (Scheinfirma) kommt im Umsatzsteuerrecht eine besondere Bedeutung zu, da im Rahmen von Steuerprüfungen immer häufiger die Frage der Berechtigung des Leistungsempfängers zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG geprüft wird, wenn für eine Leistung eine Rechnung vorgelegt wird, bei der der leistende Unternehmer nicht eindeutig identifizierbar ist. Zu prüfen ist in diesen Fällen, ob der Leistungsempfänger aufgrund eines Vertrauensschutztatbestands den Vorsteuerabzug geltend machen kann. Von dem Begriff des Scheinunternehmens ist der Begriff des Strohmanns abzugrenzen, bei dem es sich um einen vorgeschobenen Unternehmer handelt.
Ob es sich bei einem Handelnden um ein Scheinunternehmen handelt, ist nach den allgemeinen Voraussetzungen des § 2 UStG zu bestimmen. Die Vorsteuerabzugsberechtigung des Leistungsempfängers bestimmt sich nach den Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG.
1 Begriff des Scheinunternehmens
Der Begriff des Scheinunternehmens ist kein gesetzlicher Begriff im Umsatzsteuerrecht, er steht vielmehr als Sammelbegriff für eine Vielzahl von Tatbeständen, bei denen sich Probleme im Zusammenhang mit der Unternehmereigenschaft einer natürlichen Person oder einer juristischen Person sowie der sich an die Unternehmereigenschaft anschließenden Fragestellungen ergeben. Probleme können sich insbesondere im Zusammenhang mit folgenden Fragen ergeben:
- Unternehmereigenschaft des Scheinunternehmers,
- Rechnungserteilung ohne Leistung,
- ungenaue Bezeichnung des leistenden Unternehmers in einer Rechnung.
Für die umsatzsteuerlichen Auswirkungen ist dabei zu unterscheiden, ob eine Leistung von einem Unternehmer an einen Scheinunternehmer erbracht wird oder ob ein Unternehmer eine Leistung von einem Scheinunternehmen erhält.
1.1 Der Scheinunternehmer als Leistungsempfänger
Für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung eines Umsatzes kommt es im Regelfall nicht darauf an, welche steuerrechtlichen Voraussetzungen der Leistungsempfänger erfüllt.
Der leistende Unternehmer hat seine Ausgangsleistung unter Berücksichtigung der allgemeinen Vorschriften des UStG zu besteuern. Allerdings ergeben sich – insbesondere im Binnenmarkt – Besonderheiten, die in Abhängigkeit von der Unternehmereigenschaft und der Identifizierbarkeit des Leistungsempfängers dazu führen, dass der leistende Unternehmer sich Gewissheit über die Eigenschaft des Leistungsempfängers verschaffen muss. Aber auch national ist die Frage von Bedeutung, wenn Leistungen ausgeführt werden, die unter das Reverse-Charge-Verfahren fallen (z. B. Bauleistungen oder Gebäudereinigungsleistungen). Als solche besonderen Regelungen kommen insbesondere in Betracht:
- Bestimmung des Orts der sonstigen Leistung nach § 3a Abs. 2 UStG mit dem Ort, an dem der Leistungsempfänger sein Unternehmen betreibt oder eine die Leistung empfangende Betriebsstätte unterhält,
- Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen,
- Übertragung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger, wenn eine in § 13b Abs. 2 UStG aufgeführte Leistung an einen Unternehmer erbracht wird.
1.1.1 Bestimmung des Orts der sonstigen Leistung in Abhängigkeit vom Leistungsempfänger
Führt der leistende Unternehmer eine sonstige Leistung aus, ergibt sich abgesehen von den in § 3a Abs. 3 ff. UStG aufgeführten Sonderregelungen der Ort der sonstigen Leistung abhängig davon, ob der Leistungsempfänger ein Unternehmer ist, der die sonstige Leistung für sein Unternehmen bezieht, oder ein Nichtunternehmer.
Wird die Leistung an einen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt, ist der Ort der sonstigen Leistung dort, wo der Leistungsempfänger sein Unternehmen betreibt bzw. eine die Leistung erhaltende Betriebsstätte unterhält.
Ist der Leistungsempfänger kein Unternehmer oder bezieht er die Leistung als Unternehmer für seinen privaten Bereich, bestimmt sich der Ort der Leistung nach der B2C-Grundregelung des § 3a Abs. 1 UStG und ist – soweit keine vorrangige Vorschrift zur Bestimmung des Orts der sonstigen Leistung anzuwenden ist – dort, wo der leistende Unternehmer sein Unternehmen betreibt.
Bei grenzüberschreitend ausgeführten Dienstleistungen ist es deshalb für die zutreffende umsatzsteuerrechtliche Beurteilung entscheidend, nicht nur Kenntnis über das Handeln des Leistungsempfängers zu haben, sondern dies auch gegenüber den Finanzbehörden nachweisen zu können.
Nachweis der Eigenschaft des Leistungsempfängers
Rechtsanwalt R aus Regensburg berät einen Kunden aus Frankreich in einer Rechtsangelegenheit. Wenn der Leistungsempfänger ein Nichtunternehmer ist, ist die Leistung in Deutschland ausgeführt und damit steuerbar und steuerpflichtig. Nur wenn der Leistungsempfänger Unternehmer ist und die Leistung für sein Unternehmen bezieht, ist der Leistungsort in Frankreich – die Leistung ist in Deutschland nicht steuerbar. Der Nachweis der Unternehmereigenschaft wird dabei in der Europäischen Union durch die Verwendung der zutreffenden USt-IdNr. des Leistungsempfängers geführt.