2.1 Voraussetzungen des § 115
Rz. 8
Zentrale Voraussetzung zum Erhalt von Besuchsbeihilfen ist die Erbringung von Leistungen der Sozialen Teilhabe gemäß § 113 an den Antragsteller. Dabei verlangt § 115 einengend, dass diese Leistungen "über Tag und Nacht erbracht" werden müssen. Der Begriff "über Tag und Nacht" ersetzt den bis zum Inkrafttreten der Vorschrift am 1.1.2020 (vgl. Rz. 2) geltenden Begriff der "stationären Einrichtung". Da das neue Recht der Eingliederungshilfe die Unterscheidung zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen im Rahmen der Personenzentrierung aufgegeben hat, werden die Leistungen nunmehr an das Leben außerhalb der Herkunftsfamilie geknüpft. Damit wird jede Wohnform umfasst, wenn die dort erbrachte Leistung über Tag und Nacht erfolgt (RegE BTHG, BT-Drs. 18/9522). Letzteres ist zwingende Voraussetzung der Besuchsbeihilfe (OVG Lüneburg, Beschluss v. 1.3.2018, 10 PA 26/18).
2.2 Besuchsbeihilfe für Angehörige
Rz. 9
Neben dem Leistungsberechtigten können auch dessen Angehörige Besuchsbeihilfe erhalten. Das ist folgerichtig, da die Vorschrift die Möglichkeit gegenseitiger Besuch vorsieht. Der Begriff des Angehörigen muss nach Sinn und Zweck der Hilfe, nämlich der Aufrechterhaltung familiärer und sozialer Kontakte, so ausgelegt werden, dass darunter auch Personen fallen, die keine Verwandten oder Verschwägerten im bürgerlich-rechtlichen Sinne sind (Zinsmeister, in: LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 115 Rz. 4; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 54 Rz. 74). Maßgebend ist das tatsächliche persönliche Verhältnis des Leistungsberechtigten zur Kontaktperson (Mayer, in: Oestreicher/Decker, SGB XII, § 54 Rz. 119). Es muss sich um nahestehende Personen handeln (Winkler, in: Neumann u. a., SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 115 Rz. 3).
2.3 Besuche der Angehörigen beim Leistungsberechtigten
Rz. 10
Die Vorschrift sieht nicht nur Besuche bei den Angehörigen vor, sondern auch Besuche der Angehörigen beim Leistungsberechtigten in seiner Wohngelegenheit. Das folgt aus der Verwendung des Begriffes "gegenseitiger Besuch" (Grube/Wahrendorf, a. a. O.). In diesen Fällen erhält der Angehörige die Besuchsbeihilfe (Mayer, a. a. O.). Zuständig blieb nach altem Recht der für den Leistungsberechtigten zuständige Träger der Sozialhilfe (Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl. 1985, § 40 Rz. 13.3, ebenso § 97 SGB XII). Nach neuem Recht (BTHG, vgl. Rz. 2) bestimmen die Länder die für die Durchführung der Eingliederungshilfe Träger.
2.4 Erforderlichkeit im Einzelfall
Rz. 11
Besuchsbeihilfe kann nur geleistet werden, "soweit es im Einzelfall erforderlich ist", § 115 a. E. Dabei bedeutet "Einzelfall" nicht etwa, dass die Besuchsbeihilfe lediglich bei besonders gelagerten Sachverhalten und damit nur in Einzelfällen geleistet werden kann. Vielmehr geht es darum, dass die Prüfung der Erforderlichkeit unter maßgeblicher Berücksichtigung der Besonderheit des Einzelfalles zu erfolgen hat, wobei angemessenen Wünschen des Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, zu entsprechen ist (§ 104).
Ob im Einzelfall eine Besuchsbeihilfe erforderlich ist, beurteilt sich nach wirtschaftlichen, medizinischen, sozialpädagogischen und sozialräumlichen Gesichtspunkten, so etwa: Länge des Aufenthaltes außerhalb des bisherigen sozialen Umfeldes, Förderung der Möglichkeit oder des Willens zur Verselbständigung, Stärkung der sozialen Teilhabe, Einwirkung auf die Ziele der Eingliederungshilfe, Entfernung zum sozialen Umfeld (Winkler, in: Neumann u. a., SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 115 Rz. 3; Zinsmeister, in: LPK-SGB IX, § 113-116 Rz. 4; Mayer, in: Oestreicher/Decker, SGB XII, § 54 Rz. 119).
2.5 Rechtsfolgen
Rz. 12
Nicht nur bei der Frage des "ob" im Rahmen des Entschließungsermessens, sondern auch bei der Frage des "wie" im Rahmen des Handlungsermessens ist die Erforderlichkeit zu prüfen. Wird dem Grunde nach eine Beihilfe bejaht, so sind Gegenstand der Beihilfe etwa Kosten der Reise, der Verpflegung und der Unterkunft (Winkler, in: Neumann u. a., SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 115 Rz. 4). Unterkunft und Verpflegung unterfallen, soweit die Voraussetzungen einer Besuchsbeihilfe vorliegen, nicht den Kosten des Lebensunterhaltes, § 115 ist lex specialis gegenüber den Regelungen der Hilfe um Lebensunterhalt (BSG, Urteil v. 28.10.2008, B 8 SO 33/07; LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 27.11.2019, L 9 SO 20/18, Rz. 34). Die Besuchskosten können ganz oder teilweise übernommen werden.
2.6 Berücksichtigung von Vorhaltekosten
Rz. 13
Auch die sog. Platzfreihaltegebühr bzw. die Abwesenheitspauschale unterliegt dem Grunde nach der Besuchsbeihilfe. Es handelt sich dabei um die Abdeckung der trotz Abwesenheit des Leistungsberechtigten verbleibenden Kosten (Vorhaltekosten). Diese Kosten sind im Rahmen der Besuchsbeihilfe zu berücksichtigen (OVG Schleswig-Holstein, Urteil v. 18.2.2004, 2 LB 65/03; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 54 Rz. 75).