Rz. 25
Abs. 4 Satz 1 entspricht der bisherigen Regelung des § 75 Abs. 1 S. 2 SGB XII (i. d. F. bis 31.12.2019), der vorsah, in die Vereinbarung die Verpflichtung des Leistungserbringers aufzunehmen, dass er im Rahmen des vereinbarten Leistungsangebots Leistungsberechtigte aufzunehmen und zu betreuen hat. Durch die Aufnahme in die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts wird eine in jedem Einzelfall zu vereinbarende Verpflichtung überflüssig. Soweit eine Vereinbarung abgeschlossen ist, besteht diese Pflicht nunmehr auf gesetzlicher Grundlage. Die Aufnahme- und Betreuungspflicht greift zwar in die Berufsausübungsfreiheit des Leistungserbringers ein (Art. 12 GG). Der Eingriff ist durch den Zweck der Regelung – die Sicherstellung der Versorgung des Leistungsberechtigten – jedoch gerechtfertigt (vgl. Begründung Regierungsentwurf BTHG, BR-Drs. 428/16 S. 299). Sinn dieser Pflicht ist die Verhinderung einer Aussonderung betreuungs- und damit kostenintensiver Leistungsberechtigter (Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 7; Flint, in: Grube/Wahrendorf/Flint, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 76 Rz. 15).
Auch die gesetzliche Verpflichtung des Leistungserbringers, Leistungsberechtigte aufzunehmen, besteht nur im Rahmen des in der Leistungsvereinbarung festgelegten Angebotes (Abs. 4 Satz 1). Folglich entfällt die Aufnahmepflicht, wenn dieser Bedarf weit über den der Zielgruppe des Leistungstyps hinausgeht (SG Konstanz, Urteil v. 22.10.2013, S 3 SO 276/12, Rz. 21, 25, Sozialrecht aktuell 2014 S. 36). In der Praxis geschieht dies regelmäßig dadurch, dass die Zahl der Plätze festgelegt wird (Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 76 Rz. 15).
Die Verpflichtung des Leistungserbringers kommt nicht der Charakter eines Vertrages zugunsten Dritter i. S. d. § 328 BGB zu (Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 76 Rz. 15; Flint, in: Grube/Wahrendorf/Flint, 5. Aufl. 2014, SGB XII, § 76 Rz. 17), etwa ein Anspruch auf Abschluss eines Vertrages mit einem bestimmten Leistungserbringer. Die Rechte des Leistungsberechtigten werden durch die individuelle Leistungsbedarfsfeststellung im Gesamtplanverfahren (§ 121 SGB IX) gewahrt.
Umstritten ist, ob kirchliche Einrichtungen das Recht haben, nicht kirchlich gebundene oder konfessionsfremde Leistungsberechtigte abzulehnen, da die religiöse Prägung einer kirchlichen Einrichtung vom Kreis der betreuten Personen mitbestimmt wird (bejahend Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 75 Rz. 8). Freudenberg sieht hingegen in einer solchen Praxis eine glaubensgebundene Diskriminierung. Es stehe dem kirchlich bzw. konfessionell gebundenen Leistungserbringer frei, sich am staatlichen Versorgungssystem zu beteiligen (Freudenberg, in: Jung, SGB XII, § 75 Rz. 15a).
Rz. 26
Der Gesetzgeber verpflichtet den Leistungserbringer dazu, dass die Inhalte des Gesamtplanes nach § 121 bei der Leistungserbringung zu beachten sind. Der Gesamtplan (Teil 2 Kapitel 7 SGB IX i. d. F. des Art. 1 BTHG) ist mit dem BTHG massiv aufgewertet worden und das zentrale Steuerungsinstrument, personenzentriert und individuell Leistungen für den jeweiligen Fall festzustellen (vgl. Begründung Regierungsentwurf BTHG, BR-Drs. 428/16 S. 291). Bei der Ausführung der Leistungen hat der Leistungserbringer diese Vorgaben bereits nach gesetzlicher Grundlage zu beachten, ohne dass es einer einzelvertraglichen Abrede bedarf.
Das Leistungsrecht der Eingliederungshilfe ist im Vergleich zu den Leistungsvereinbarungen vorrangig, d. h. soweit Leistungsvereinbarungen nach §§ 123 ff. Leistungen nicht vorsehen, auf die nach den leistungsrechtlichen Vorgaben ein Anspruch besteht, müssen die Träger der Eingliederungshilfe der Leistungsvereinbarung ggf. ergänzende Leistungen akzeptieren (vgl. Eicher unter Berufung auf BSG Rechtsprechung, SGb 2013 S. 191, 192). Kritisch dazu Fahlbusch, der unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BSG zur gesetzlichen Krankenversicherung dafür eintritt, das Leistungsrecht durch das Leistungserbringungsrecht zu konkretisieren (Festschrift Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 2012, S. 131, 142 ff.). Dieser Ansatz würde jedoch das Recht des Leistungserbringers auf Ausübung seines Wunsch- und Wahlrechts, das ihm bei der individuellen Bedarfsplanung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 104 zusteht, unterlaufenden (vgl. Komm. zu § 124).
Abs. 4 Satz 2 stellt klar, dass die Verpflichtung zur Leistungserbringung auch in Fällen gilt, in denen Leistungen von mehreren Leistungsberechtigten gemeinsam in Anspruch genommen werden (§ 116 Abs. 2).