Rz. 10
Abs. 2 knüpft an die erste Regelung bei Einführung des Schiedsstellenverfahrens in das allgemeine Sozialhilferecht an (vgl. Komm. zu § 123 Rz. 3) und führt erneut die Zuständigkeit der Schiedsstelle für alle Vereinbarungen also Leistungs- und Vergütungsvereinbarung wieder ein. Bisherige Versuche, auch die Leistungsvereinbarung wieder schiedsstellenfähig zu machen, scheiterten (während der Entwurf der Bundesregierung zur Überleitung des BSHG in das SGB XII dies noch vorsah, vgl. § 72 Abs. 1 Satz 2 i. d. F. des Entwurfs mit aufschlussreicher Begründung, BR-Drs. 559/03 S. 204, wurde auf Intervention von Ländern diese Neuregelung im Vermittlungsverfahren beseitigt, BT-Drs. 15/2260 S. 4; vgl. auch Begründung Regierungsentwurf BTHG, BR-Drs. 428/16 S. 303).
Die gegen das Erstrecken auf die Leistungsvereinbarung gerichtete Kritik, die aber auch innerhalb der Länderbank differenziert gesehen wird, konnte sich im Gesetzgebungsverfahren zum BTHG nicht durchsetzen. Nach Ansicht der Ländermehrheit wird die Ausgabendynamik der Eingangshilfe durch die Schiedsstellefähigkeit auch der Leistungsvereinbarung erhöht, da letztlich die Steuerungsfähigkeit durch die Träger abgeschwächt werde (BT-Drs. 18/9954 S. 48; kritisch aus kommunaler Sicht: Vorholz, RP Reha 4/2016 S. 9, 13). Bereits die Bundesregierung hatte in ihrer Gegenäußerung zur BR-Stellungnahme zum Entwurf eines BTHG ausgeführt:
"Die Erweiterung der Schiedsstellenfähigkeit im Vergleich mit dem bisher geltenden Recht auch auf die Leistungsvereinbarung dient der gleichgewichtigen Ausgestaltung des Vereinbarungsverfahrens. Das Schiedsstellenverfahren ist geeignet, unterschiedliche Interessen der Verhandlungspartner im Sinne der Beteiligten zu einer ausgewogenen Lösung zusammenzuführen. Auch in anderen Rechtsbereichen wie z. B. der Sozialen Pflegeversicherung ist die Schiedsstellenfähigkeit nicht nur auf die Vergütung beschränkt; schiedsstellenfähig sind im SGB XI auch die Inhalte der Leistungsvereinbarung. Leistung und Entgelt gehören auch bei Leistungen der Eingliederungshilfe vor dem Hintergrund von Leistungsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit untrennbar zusammen und können daher von der Schiedsstelle nur im Zusammenhang beurteilt werden. Mit der Schiedsstellenfähigkeit der Leistungsvereinbarung wird zur Sicherstellung eines diskriminierungsfreien Zugangs aller Leistungserbringer eine zusätzliche Instanz zur Überprüfung dieser Voraussetzungen eingebaut, mit deren Hilfe im Einzelfall langjährige prozessuale Auseinandersetzungen vermieden werden können." (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung zur BR-Stellungnahme zum Entwurf eines BTHG, BR-Drs 18/9954 S. 116; zu weiteren Spekulationen unausgesprochener Hintergründe der Ablehnung seitens der Ländermehrheit vgl. Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 77 Rz. 8).
Siefert sieht die Schiedsstellenfähigkeit auch für die Leistungsvereinbarung aus richterlicher Sicht kritisch, da offenbliebe, inwieweit ein Gericht im Rahmen seiner beschränkten Kontrollmöglichkeit von Schiedsstellenentscheidungen seine Kontrollfunktion hinsichtlich einer Leistungsvereinbarung überhaupt leisten könne (vgl. Siefert, jurisPR-SozR 8/2017 Anm. 1, D.).
Mit der Schiedsstellenfähigkeit für alle Vereinbarungen ist die bisher diskutierte Problematik des Umgangs einer mehrfach gegebenen gegenseitigen Abhängigkeit von Leistungs- und Vergütungsvereinbarung, bis zur Schlussfolgerung entgegen des eindeutigen Wortlauts (§ 77 Abs. 1 Satz 3 SGB XII i. d. F. bis 31.12.2019) der Schiedsstelle auch Regelungsmacht über Inhalte der Leistungsvereinbarung einzuräumen (Jaritz/Eicher, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 77 Rz. 37; Gottlieb, Anm. zu BSG, SGb 2017 S. 104, 108; SG Detmold, Urteil v. 24.7.2014, S 2 SO 151/14 ER, Rz. 8 juris), obsolet (vgl. zum Diskussionstand: Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 77 Rz. 8).
Rosenow ist zuzustimmen, dass letztlich die Schiedsstelle der bessere Spruchkörper zur Entscheidung eines Streits über Leistungsinhalte ist. Wegen der Komplexität des Verfahrens besteht zudem die Chance, mit einem den Rechtsstreit befriedenden Schiedsstellenspruch diesen wesentlich schneller als im gerichtlichen Verfahren klären zu können (Rosenow, RP Reha 4/2016 S. 20, 26). Hinzu kommt der Effekt, dass die Sozialgerichtsbarkeit entlastet wird (Wahrendorf, KV 2016 S. 221).
Rz. 11
Streitgegenstand des Schiedsstellenverfahrens ist allein der im Antrag vorgetragene Sachverhalt der Vertragsparteien. Die Schiedsstelle hat sich auf die Gegenstände der Vereinbarung zu beschränken, über die keine Einigung erzielt werden konnte (vgl. Verfahrensgrundsatz der Dispositionsmaxime, vgl. Rz. 13). Erzielen die Vertragsparteien nur über einen einzelnen Mindestvertragsbestandteil der Vergütungsvereinbarung keine Einigung, ist nur dieser Vergütungsbestandteil Gegenstand des Schiedsstellenverfahrens. Über den so zu bestimmenden Streitgegenstand hinaus ist die Schiedsstelle nur entscheidungsbefugt, wenn die Vertragsparteien dem zustimmen (Jaritz/Eicher, in: jurisPK-SG...