Rz. 6
Die aufgrund § 7 Abs. 2 immer vorrangig zu beachtenden Zuständigkeitsregelungen der §§ 14 und 15 regeln nach Auffassung des Gesetzgebers umfassend die Zuständigkeiten der Rehabilitationsträger im Hinblick auf die zu bearbeitenden Anträge für alle Teilhabeleistungen. Das schließt jedoch nicht aus, dass in der Praxis eilbedürftige Leistungen nicht rechtzeitig gewährt werden können, weil z. B.
- trotz Klarheit über das Bestehen eines Leistungsanspruchs Gutachten oder ergänzende Berichte abgewartet werden müssen, die Aufschluss über die Zuständigkeit bzw. über das Vorliegen einer Teilhabeleistung geben,
- einer der beteiligten Rehabilitationsträger anzweifelt, dass es sich bei dem Leistungsantrag um einen Antrag auf Teilhabeleistungen handelt (z. B. bei einem an Diabetes erkrankten Kind, welches in der Schule für einen gewissen Zeitraum Häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V benötigt und in der übrigen Zeit Schulassistenz),
- sich die Rehabilitationsträger darüber streiten, ob der Antrag auf Teilhabeleistungen rechtzeitig i. S. d. § 14 weitergeleitet wurde und der vermeintlich zweitangegangene Rehabilitationsträger nicht leisten will,
- der zweitangegangene Rehabilitationsträger den weitergeleiteten Antrag angeblich nicht erhalten hat und zunächst nicht leistungsbereit ist.
Rz. 7
Bewilligt der erstangegangene Rehabilitationsträger bei den in Rz. 6 aufgeführten Fallgestaltungen trotzdem vorläufig Leistungen, um den Zuständigkeitsstreit nicht auf Kosten des Leistungsberechtigten auszutragen, hat der erstangegangene Rehabilitationsträger wegen § 16 Abs. 4 Satz 1 keine Möglichkeit, von sich aus die Leistung zu bewilligen und dann einen Erstattungsanspruch zu stellen.
Um dem Leistungsberechtigten bei eilbedürftigen Rehabilitations-/Teilhabeleistungen trotzdem zu helfen, konnte ein Rehabilitationsträger bis 31.12.2017 vorläufig nach § 43 SGB I vorleisten. Der vorläufig leistende Rehabilitationsträger musste in diesen Fällen dem anderen Rehabilitationsträger lediglich anzeigen, dass er vorläufig Leistungen erbringen will. Stellte sich später die Zuständigkeit eines anderen Rehabilitationsträgers heraus, konnte der vorleistende Rehabilitationsträger gemäß § 102 SGB X einen Erstattungsanspruch in Höhe seiner vorläufig erbrachten Leistungen geltend machen. Diese Möglichkeit wurde den Rehabilitationsträgern bei Rehabilitations- bzw. Teilhabeleistungen wegen § 24 Satz 3 zum 1.1.2018 genommen. § 24 Satz 3 stellt für Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen eine abschließende Regelung dar, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit oder Leistungserbringung im SGB I vorgeht (Bay. LSG, Urteil v. 15.2.2023, L 19 R 308/18).
Das gilt auch, wenn die Rehabilitations- bzw. Teilhabeleistungen aufgrund des rehabilitationsträgerspezifischen Rechts (vgl. § 7 Abs. 1) ihre Rechtsgrundlage im SGB III, V, VI, VII, VIII oder XIV haben.
Vorläufige Rehabilitations- bzw. Teilhabeleistungen nach § 43 SGB I sind somit durch das in § 24 Satz 3 geregelte Verbot auch in den unter Rz. 6 aufgeführten Sachverhalten nicht mehr erlaubt. Das stößt nicht nur beim Autor auf Kritik (vgl. u. a. Fuchs, 20 Jahre SGB IX – Impulse zu einer Agenda 2025 – unter dem Abschnitt "Selbstbeschaffung von Leistungen"; Fundstelle Rz. 9).
Rz. 8
Nach Auffassung des Autors besteht in den strittigen Fällen (Rz. 6) für den erstangegangenen Rehabilitationsträger nur noch die verwaltungsaufwendige Möglichkeit, mit dem "streitenden" Rehabilitationsträger eine Vereinbarung i. S. d. § 16 Abs. 4 Satz 1 letzter HS zu schließen, um dem Leistungsberechtigten eilbedürftige Teilhabeleistungen zukommen zu lassen. Diese i. d. R. im Einzelfall vorzunehmende Vereinbarung kommt als bindende Verabredung durch eine zweiseitige Willenserklärung zustande. Im Text sollte die Vereinbarung zum Zwecke der Rechtssicherheit auch als Vereinbarung i. S. d. § 16 Abs. 4 Satz 1, letzter HS bezeichnet werden.
In der individuell zu gestaltenden Vereinbarung sollte geregelt werden, dass der erstangegangene Rehabilitationsträger eine näher zu bestimmende Teilhabeleistung vorläufig erbringen will und dass sich der andere Rehabilitationsträger dazu bereit erklärt, die vorläufig erbrachte Leistung bei Feststellung seiner letztendlichen Zuständigkeit in Höhe der vorläufig erbrachten Leistung zu erstatten. Ob dieser Erstattungsanspruch entsprechend § 16 Abs. 3 um die 5-prozentige Verwaltungskostenpauschale erhöht wird, muss zwecks Ausräumung von späteren Streitigkeiten auch in der Vereinbarung geregelt werden. Nach Abschluss der Vereinbarung kann dann mit der vorläufigen Erbringung von Teilhabeleistungen begonnen werden.
Der Autor hat zur Anwendung des § 24 Satz 3 ergänzend noch zwei Anmerkungen:
- Der zweitangegangene Rehabilitationsträger i. S. d. § 14 benötigt bei Streitigkeiten über die Zuständigkeit bei Teilhabeleistungen keine Vereinbarung. Aufgrund seiner Sonderstellung (= aufgedrängte Zuständigkeit) kann er immer einen Erstattungsanspruch nach § 16 Abs. 1 und 3 geltend machen – und zwar auch dann, wen...