2.1 Grundsatz
Rz. 2
Der besondere Kündigungsschutz tritt dem allgemeinen Kündigungsschutz nach anderen Rechtsvorschriften, etwa nach dem Kündigungsschutzgesetz hinzu. Er ist unabhängig von der Betriebsgröße des Arbeitgebers, gilt also auch in den Fällen, in denen der Arbeitgeber nicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verpflichtet ist. Er gilt auch in Betrieben, in denen 10 oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt sind und in denen der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht gilt.
Rz. 3
Die Schwerbehinderteneigenschaft ist im Rahmen des Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz bei der Prüfung "sozialer Gesichtspunkte", die eine Kündigung sozial ungerechtfertigt machen, zu berücksichtigen.
Rz. 4
Der Kündigungsschutz gilt nicht nur für schwerbehinderte, sondern auch für diesen gleichgestellte behinderte Menschen. § 151 Abs. 3 bestimmt, dass für gleichgestellte behinderte Menschen die Vorschriften des Teils 3 des SGB IX Anwendung finden mit Ausnahme der Regelungen über den Zusatzurlaub (§ 208) und der Vorschriften über die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personenverkehr.
Rz. 5
Er gilt für Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, also für Angestellte und Arbeiter. Er gilt auch für Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte. Diese Personengruppe ist in § 173, in dem die Ausnahmen von der Geltung des Kündigungsschutzes geregelt sind, nicht aufgeführt.
Rz. 6
Der besondere Kündigungsschutz gilt auch für Heimarbeiter, die Geltung des besonderen Kündigungsschutzes für diesen Personenkreis ergibt sich aus § 210 Abs. 2 Satz 2. Er gilt dagegen nicht für Beamte, für Richter (§ 211 Abs. 2) und ebenfalls nicht für Soldaten. Für diese gilt § 211 Abs. 3.
Rz. 7
Der Kündigungsschutz besteht, wenn das Arbeitsverhältnis wenigstens 6 Monate bestanden hat (vgl. Ausnahmeregelung in § 173 Abs. 1 Nr. 1) und unabhängig davon, ob der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Beschäftigten hat.
Rz. 8
Die Zustimmung des Integrationsamtes ist vor Ausspruch der Kündigung einzuholen, die Zustimmung ist Wirksamkeitsvoraussetzung. Eine ohne vorherige Zustimmung ausgesprochene Kündigung ist, weil gegen ein gesetzliches Verbot (hier § 168) verstoßend, unwirksam (§ 134 BGB).
2.2 Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft
Rz. 9
Zur Frage, ob der Kündigungsschutz auch dann besteht, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft des beschäftigten schwerbehinderten Menschen nicht bekannt ist, hat die Rechtsprechung Grundsätze aufgestellt.
Rz. 10
Ist die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung festgestellt oder wenigstens ein Antrag gestellt, besteht der Kündigungsschutz auch dann, wenn der Arbeitgeber bei der Kündigung hiervon keine Kenntnis hatte.
Hatte der Arbeitgeber von der vor der Kündigung erfolgten Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft keine Kenntnis und hat er die Kündigung infolgedessen ohne Zustimmung ausgesprochen, kann die Kündigung dennoch unwirksam sein. Der Kündigungsschutz besteht nämlich unabhängig davon, ob der Arbeitgeber Kenntnis von der vorliegenden Schwerbehinderteneigenschaft hat. Allerdings muss der Arbeitnehmer, wenn der Kündigungsschutz nicht verwirkt sein will, die Schwerbehinderteneigenschaft dem Arbeitgeber innerhalb einer angemessenen Frist nach Erhalt der Kündigung mitteilen. Als "angemessene Frist" hatte die Rechtsprechung des BAG in der Vergangenheit einen Monat angesehen. Diese Auffassung hat das BAG inzwischen geändert und geht nunmehr unter ausdrücklichem Bezug auf die Vorschrift des § 173 Abs. 3 und die darin festgelegte Frist des § 152 Abs. 1 Satz 3 nur noch von 3 Wochen als angemessene Frist aus (BAG, Urteil v. 11.12.2008, 2 AZR 395/07).
Rz. 11
Durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen v. 23.4.2004 (BGBl. I S. 606) ist mit Wirkung zum 1.5.2004 durch eine Ergänzung in § 90 (ab 1.1.2018 § 173) eine Klarstellung zur Geltung des Kündigungsschutzes vorgenommen worden. Durch den dort eingefügten Abs. 2a (ab 1.1.2018 Abs. 3) wird sichergestellt, dass der Arbeitgeber zur Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedarf, wenn zum Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachgewiesen ist, also entweder nicht offenkundig ist, so dass es eines Nachweises (Feststellungsverfahren nach § 152) nicht bedarf oder der Nachweis über die Schwerbehinderteneigenschaft nicht durch einen Feststellungsbescheid nach § 152 Abs. 1 oder durch eine Feststellung nach § 152 Abs. 2 erbracht ist. Die Regelung betrifft nicht die Fälle, in denen die Schwerbehinderteneigenschaft vorliegt/festgestellt ist, der schwerbehinderte Mensch diese aber dem Arbeitgeber nicht mitteilt/verschweigt. Für diese Fälle gilt auch weiterhin das in Rz. 10 Gesagte.
Daneben gilt der besondere Kündigungsschutz nach dieser Klarstellung nur in den Fällen, in denen ein Verfahren auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zwar zum Zeit...