Rz. 3
Werden bei einem Rehabilitationsträger Sozialleistungen (§ 12 SGB I) wegen einer drohenden oder bereits eingetretenen Behinderung beantragt, hat der Rehabilitationsträger unabhängig von der Entscheidung über diese Leistung zu prüfen, ob Leistungen zur Teilhabe voraussichtlich erfolgreich sind, um die Behinderung und deren Folgen abzuwenden oder zu minimieren bzw. um den Leistungsberechtigten in Arbeit, Beruf, Schule und Gesellschaft zu integrieren oder unabhängig von der Pflege zu machen.
Der Rehabilitationsträger hat in diesem Rahmen auch zu prüfen, ob zur Erreichung der Ziele weitere Rehabilitationsträger zu beteiligen sind (vgl. § 9 Abs. 1). Soweit es im Einzelfall geboten ist, hat diese Prüfung auch während der Ausführung der Teilhabeleistungen (z. B. aufgrund eines Zwischenberichtes) und vor allem nach ihrem Abschluss (z. B. Auswertung von Entlassungsberichten) zu erfolgen. Wenn hier ein noch offener Teilhabebedarf erkannt wird, ist zu prüfen, ob dieser durch weitere Teilhabeleistungen bzw. durch Leistungen anderer Rehabilitationsträger befriedigt werden kann.
Als Teilhabeleistungen in diesem Sinne gelten
- Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§§ 42 ff.),
- Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§§ 49 ff.),
- Leistungen zur Teilhabe an Bildung (§ 75) und
- Leistungen zur sozialen Teilhabe (§§ 76 ff.).
Das Teilhabeplanverfahren ist in den §§ 19 bis 23 geregelt.
Die zu Beginn des Teilhabeplanverfahrens durchzuführende Teilhabe-Bedarfserkennung ist unverzichtbarer Baustein des Teilhabeplanverfahrens und damit die grundlegende Voraussetzung für die Planung der Leistungen. Wenn die möglichen Bedarfe des Leistungsberechtigten erkannt bzw. während des Teilhabeplanverfahrens im Zusammenwirken mit dem Leistungsberechtigten konkret ermittelt werden, ist zu erwarten, dass passgenau notwendige Teilhabeleistungen zur Unterstützung des Leistungsberechtigten festgestellt werden können. Insofern sind auch bei der Teilhabe-Bedarfserkennung hohe fachliche Anforderungen an die handelnden Mitarbeiter des jeweiligen Rehabilitationsträgers zu stellen.
Rz. 4
Falls bei einem Leistungsberechtigten ein trägerübergreifender oder leistungsgruppenübergreifender Teilhabebedarf besteht, müssen die Leistungen gemäß dem Grundgedanken des § 19 Abs. 1 aufeinander abgestimmt erbracht werden. Im Vordergrund dieses Handelns steht eine zügige – nach Möglichkeit sogar nahtlose –, zielgerichtete, bedarfsgerechte und wirksame Leistungsgewährung. § 19 verpflichtet den "leistenden" Rehabilitationsträger i. S. d. § 14 und die von ihm nach § 15 beteiligten Rehabilitationsträger, hier "Hand in Hand" zu arbeiten und mit dem Antragssteller/Leistungsberechtigten die Einleitung und Erstellung der Teilhabeplanung abzustimmen.
Rz. 4a
Voraussetzung ist, dass der Leistungsberechtigte der Einleitung des Teilhabeplanverfahrens zustimmt. Deshalb ist vom Rehabilitationsträger, wenn ein Teilhabebedarf erkannt wird, immer eine schriftliche Zustimmung vom Leistungsberechtigten einzuholen. Zum Hintergrund:
Damit der offene bzw. noch nicht befriedigte Teilhabebedarf erkannt wird, hat der Leistungsberechtigte im Rahmen der Erstellung des Teilhabeplans persönliche Informationen über sich preis zu geben (je nach Erkrankungen: Ausmaß seiner Behinderungen im Alltag, Lebensverhältnisse, Einstellungen und sonstige Kontextfaktoren, berufliche Einschätzung etc.). In der Praxis fühlen sich vereinzelt Leistungsberechtigte als "gläserner Mensch" und lehnen deshalb zu Beginn oder während des laufenden Teilhabeplanverfahrens ihre Zustimmung zur Erstellung bzw. Fortführung des Teilhabeplans ab. Ohne Zustimmung des Leistungsberechtigten bzw. ab dem Zeitpunkt des Widerrufs der Zustimmung darf das Teilhabeplanverfahren nicht eingeleitet oder fortgeführt werden. Diese fehlende Zustimmung darf nicht als Signal gewertet werden, dass der Leistungsberechtigte keine weiteren Leistungen mehr beanspruchen will. Lediglich die Verantwortung des Rehabilitationsträgers, die Leistungen unterschiedlicher Leistungsgruppen bzw. unterschiedlicher Rehabilitationsträger ""wie aus einer Hand"" zu organisieren – also die Lotsenfunktion –, entfällt.
Rz. 5
Der Teilhabeplan selbst ist kein Verwaltungsakt. Entscheidungen, die in den Fällen der sog. Trägermehrheit (= Fallgestaltungen des § 15) ohne ein normalerweise vorgeschriebenes Teilhabeplanverfahren zustande kommen, sind gleichwohl nach § 39 SGB X wirksam, da kein Fall einer Nichtigkeit nach § 40 SGB X vorliegt. Eine fehlende Erstellung des Teilhabeplans begründet somit keine Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes, jedoch müssen die Gründe dafür dargelegt werden (z. B. keine Erlaubnis des Leistungsberechtigten zur Durchführung des Teilhabeverfahrens; vgl. BT-Drs. 18/9522 S. 236 f. zu § 19 SGB IX – und zwar dort die Ausführungen zu Abs. 4; vgl. Rz. 1).