Rz. 41
Damit Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung im frühestmöglichen Stadium die für sie erforderlichen Leistungen zur Teilhabe erhalten, ist es erforderlich, dass Anzeichen eines Bedarfs an Leistungen zur Teilhabe frühzeitig erkannt werden. Das Erkennen und Ermitteln solcher Anzeichen ist gemeinsame Aufgabe aller Rehabilitationsträger, die potenziell am Rehabilitationsprozess beteiligten Akteure einbinden können.
Nach § 13 Abs. 1 verpflichtet der Gesetzgeber alle Rehabilitationsträger dazu, den individuellen Rehabilitations- bzw. Teilhabebedarf mithilfe von
- systematischen Arbeitsprozessen (z. B. Screenings, Erhebungen, Analysen, Dokumentation, Planung und Ergebniskontrolle) und
- standardisierten Arbeitsmitteln (z. B. Selbstauskunftsbögen, Antragsunterlagen, Befundberichte, Checklisten, Leitfäden, Gutachten)
(Instrumente) zu ermitteln – und zwar nach den für sie geltenden Leistungsgesetzen. Der Bezug zu den jeweiligen Leistungsgesetzen der Rehabilitationsträger stellt allerdings klar, dass die Instrumente nicht in allen Rechtskreisen identisch sein müssen und können. Trotzdem erwächst nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/9522 S. 232 f.) bei der Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs die Notwendigkeit, trägerübergreifend nach möglichst einheitlichen Maßstäben zusammenzuarbeiten; anderenfalls wären eine nahtlose Leistungserbringung und eine effektive Durchführung des Teilhabeplanverfahrens systembedingt nicht möglich.
Ein 35-jähriger, verheirateter Lkw-Fahrer wohnt im 3. Stock eines älteren Hauses ohne Aufzug. Aufgrund eines während eines Urlaubs erlittenen Verkehrsunfalls verliert er beide Beine.
Folge:
Es ist mit der Zielsetzung des SGB IX nicht vereinbar, wenn die leistende Krankenkasse den zu ermittelnden Rehabilitationsbedarf nur im Bereich der medizinischen Rehabilitation ermittelt. Vielmehr muss sie auch gleichzeitig (!) den Teilhabebedarf im Rahmen der
Da bis zur Einleitung entsprechender Maßnahmen im Vorfeld zeitaufwendige Abklärungen erfolgen müssen, ist ein frühzeitiges Handeln zwecks einer zügigen Eingliederung nötig.
Damit die Instrumente trägerübergreifend und nach Möglichkeit einheitlich erhoben werden, sind gemeinsame Absprachen und Regeln zu treffen. Um dieses zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber die Aufgabenstellung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) um "die Erarbeitung von gemeinsamen Grundsätzen zur Bedarfserkennung, Bedarfsermittlung und Koordination von Rehabilitationsmaßnahmen und zur trägerübergreifenden Zusammenarbeit" erweitert (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX).
Bei dem Verfahren zur Ermittlung des Rehabilitations-/Teilhabebedarfs haben die Rehabilitationsträger auch die Vorgaben des § 13 Abs. 2 zu beachten. Danach haben die systematischen Arbeitsprozesse und die standardisierten Arbeitsmittel eine individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung zu gewährleisten und die Dokumentation und Nachprüfbarkeit der Bedarfsermittlung zu sichern – und zwar hinsichtlich der Feststellungen,
1. ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht,
2. welche Auswirkung die Behinderung auf die Teilhabe des Leistungsberechtigten hat,
3. welche Ziele mit den Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen und
4. welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind.
Rz. 42
Im Februar 2019 vereinbarten die Rehabilitationsträger unter Federführung der BAR die Gemeinsame Empfehlung "Reha-Prozess".
Mit der Bedarfserkennung und der dann folgenden Bedarfsermittlung und -feststellung befassen sich die §§ 10 bis 18 und 26 ff. der Gemeinsamen Empfehlung. Hervorzuheben sind die §§ 35 bis 46 der Empfehlung, die sich mit den "inhaltlichen Grundsätzen für Instrumente der Bedarfsermittlung" befassen.
Mit der Vereinbarung der oben aufgeführten Gemeinsamen Empfehlung haben die Rehabilitationsträger nach Auffassung des Autors die Ihnen zugewiesene Aufgabe i. S. d. § 26 Abs. 1 Nr. 7 erfüllt. Dass die Rehabilitationsträger aufgrund einer Studie aus dem Jahr 2019 trotz punktueller trägerübergreifender Vereinheitlichungstendenzen eine vollständige und umfassende trägerübergreifende Feststellung des Rehabilitations-/Teilhabebedarfs oft noch nicht wie ursprünglich angedacht umsetzen (vgl. Forschungsb...