0 Allgemeines
Rz. 1
Gesetzesentwicklung: Die Norm entspricht inhaltlich weiterhin dem bisherigen § 62 SGB IX a. F. (BT-Drs. 18/9522 S. 253). Lediglich der Wegfall der gemeinsamen Servicestellen nach den §§ 22, 23 SGB IX a. F. wurde angepasst. Ursprungsnorm war § 126a BSHG, welcher die Bestellung von Landesärzten im Wesentlichen vorsah, um die Maßnahmen der sozialhilferechtlichen Eingliederung planen und durchführen zu können (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp § 126a Rn. 1).
Rz. 2
Normzweck: Die Vorschrift gestattet den Bundesländern die Bestellung von Landesärzten zur Unterstützung von Landesbehörden für das Gesundheitswesen und die Sozialhilfe.
Im Einzelnen geht es nach Abs. 2 Nr. 1 um die Erstellung von Gutachten, Abs. 2 Nr. 2 um die Beratung und Unterstützung bei Evaluationen und Konzepten zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung und nach Abs. 2 Nr. 3 um die Unterrichtung über Art und Ursachen von Behinderung und notwendige Hilfen.
Ursprünglich war der Anwendungsbereich im Wesentlichen auf den Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie z. B. die sozialhilferechtliche Eingliederung, zugeschnitten (BT-Drs. 14/5074, S. 111). Aufgrund der systematischen Stellung im Teil 1 und mit Blick auf die gemeinsamen Teilhabeziele nach § 36 sind die Aufgaben der Landesärzte im Kontext aller Rehabilitationsträger und dessen Leistungen zu begreifen.
2 Rechtspraxis
2.1 Bestellung der Landesärzte (Abs. 1)
Rz. 2
Die zuständigen Landesbehörden können nach pflichtgemäßen Ermessen Landesärzte mit besonderen Erfahrungen in der Behindertenhilfe bestellen. Dabei lässt das Gesetz offen, welche Erfahrungen notwendig und auf welche Weise diese erworben worden sind. Eine Facharztausbildung oder Kassenzulassung wird nicht gefordert, hingegen muss dem Wortlaut nach eine Approbation vorliegen, damit der Titel "Arzt" getragen werden darf.Die Entscheidung, wer diese Ärzte bestellt und welchen Status sie haben, ist den landesrechtlichen Regelungen vorbehalten. Eine bundesgesetzliche Regelung wäre als Verstoß gegen die Organisationshoheit der Länder verfassungsrechtlich nicht vertretbar.
Rz. 3
Zweck der Bestellung von Landesärzten ist es, sowohl eine fachkompetente einzelfallbezogene Begutachtung als auch allgemeine Beratung und Koordinierung von konzeptionellen und Planungsaufgaben der Länder zur Verbesserung der Teilhabe behinderter Menschen sicherzustellen. Die Landesärzte sind dabei kein institutioneller Bestandteil der Gesundheitsämter. Besonders vor diesem Hintergrund erscheint es zweifelhaft, ob die Ausgestaltung als Kann-Vorschrift angebracht ist und die in Abs. 2 beschriebenen Aufgaben der Landesbehörden im Zweifel ohne medizinische Fachkompetenzen überhaupt zu bewältigen sind. Vor diesem Hintergrund dürfte sich das Ermessen auf ein Auswahlermessen beschränken.
2.2 Aufgaben der Landesärzte (Abs. 2)
Rz. 4
Die gesetzliche Aufzählung der Aufgaben der Landesärzte in Abs. 2 ist nicht abschließend. Ihnen kommt nach Abs. 2 Nr. 1 vor allem die Aufgabe zu, Gutachten in besonders schwierig gelagerten Einzelfällen oder in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung zu erstellen. Die Gutachteraufgabe üben die Landesärzte gegenüber den für das Gesundheitswesen und die Sozialhilfe zuständigen Landesbehörden sowie den zuständigen Trägern der Sozialhilfe aus. Die Gutachteraufgabe besteht nach h. M. nur für Rehabilitationsträger der Sozialhilfe.
Rz. 5
Abs. 2 Nr. 2 fördert und verbessert die Teilhabe von Menschen mit Behinderung, indem die Landesärzte die obersten Landesbehörden bei der Erstellung von Konzeptionen, Situations- und Bedarfsanalysen und bei der Landesplanung mit ihren besonderen Erfahrungen sowie medizinischen Fachwissen unterstützen. Zudem können Sie selbst initiativ in die vorgenannten Konzeptions- und Planungsaufgaben eingreifen bzw. aktiv werden. Hierdurch wird das Aufgabenspektrum der Landesärzte erweitert und beträchtlich aufgewertet. Denn sie werden aktiv am Verfahren einer systematischen Rehabilitationsplanung auf Landesebene beteiligt. Der Landesarzt hat dabei stets interessenunabhängig und neutral aufzutreten. Zugleich werden die obersten Landesbehörden in die Lage versetzt, mit Hilfe ihrer fachkundigen medizinischen Berater ihre rehabilitationsrechtlichen Aufgaben, z. B. nach § 88, gerade auch im Hinblick auf die neuen Herausforderungen an die Rehabilitationsträger der Sozial- und Jugendhilfe besser als bisher schon durch eine systematische Bedarfsplanung und neue konzeptionelle Lösungsansätze zu entwickeln und wahrzunehmen.
Rz. 6
Abs. 3 Nr. 3 regelt die Unterrichtungsaufgabe der Landesärzte gegenüber den für das Gesundheitswesen zuständigen Landesbehörden, damit diese wiederum ihre Aufgaben nach § 36 auf der Grundlage einer fundierten Datenbasis erfüllen können Die bisher auf den Erfolg von Erfassungs-, Vorbeugungs- und sog. Bekämpfungsmaßnahmen ausgerichtete Unterrichtungspflicht der Landesärzte ist in einer zeitgemäßeren Gesetzessprache formuliert und, um die wesentliche Informationspflicht der Landesärzte, die Landesgesundheitsbehörden ebenso über Art und Ursachen von Behinderungen wie über notwendige Hilfen zu unterrichten, erweitert worden.