Rz. 2
Gemäß § 10 Nr. 1 SGB I und § 4 Abs. 1 Nr. 1 haben Menschen mit Behinderungen oder drohender Behinderung (§ 2 Abs. 1) ein Recht auf Hilfe, um u. a. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern. Zur Verfolgung dieser Ziele kann dieser Mensch Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel beanspruchen (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d SGB I).
Der Anspruch umfasst auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch des Hilfsmittels (vgl. Rz. 47 ff.). Darüber hinaus schließt die Hilfsmittelversorgung die notwendigen Betriebskosten mit ein (BSG, Urteil v. 18.5.1978, 3 RK 47/77).
Hilfsmittel kommen – je nach Zielsetzung –
- bei den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Rollstühle, Körperersatzstücke, etc., §§ 42 ff., insbesondere § 47; vgl. Rz. 7 ff.),
- bei den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (z. B. zur Erledigung der beruflichen Tätigkeit am Arbeitsplatz oder zur Erreichung des Arbeitsplatzes, §§ 49 ff., insbesondere § 49 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4; vgl. Rz. 34),
- bei den Leistungen zur Bildung (z. B., wenn ein Hilfsmittel benötigt wird, um dem Schulunterricht folgen zu können; § 75; vgl. Rz. 35) und
- bei den Leistungen zur Sozialen Teilhabe (z. B. Mobilitätshilfen, um Freunde besuchen zu können; § 76 Abs. 2 Nr. 8 i. V. m. § 84; vgl. Rz. 36 ff.)
in Betracht.
Rz. 3
§ 47 regelt den Anspruch auf Hilfsmittel. Ziel ist
- einer drohenden Behinderung bzw. der Verschlimmerung einer bereits eingetretenen Behinderung vorzubeugen,
- den Erfolg der Heilbehandlung, die zur Abwendung oder Minderung einer Behinderung durchgeführt wurde, zu sichern oder
- die Folgen einer Behinderung auszugleichen.
Nach der Rechtsprechung (BSG, Urteil v. 7.5.2020, B 3 KR 7/19 R) dient ein Hilfsmittel selbst dann noch der Vorbeugung einer drohenden Behinderung i. S. d. § 47, wenn mit dessen Einsatz im Schwerpunkt die Verschlimmerung der Behinderung verhütet oder der Hinzutritt einer wertungsmäßig neuen Behinderung abgewendet wird. Dagegen zählen Hilfsmittel, die bei noch nicht bestehender oder drohender Behinderung im Einzelfall erforderlich sind, um lediglich den Erfolg der Krankenbehandlung i. S. d. § 33 SGB V zu sichern (z. B. allergendichte Kissen- und Oberbettbezüge, ferner Orthese zur vorübergehenden Ruhigstellung oder Entlastung eines Körperteils) nicht zu den Hilfsmitteln i. S. d. § 47.
Unter Beachtung dieser Grundsätze (medizinische Rehabilitation, Vorbeugung oder Ausgleich einer Behinderung oder der Folgen einer Behinderung) können folgende beispielhaft aufgezählte Hilfsmittel zu den Hilfsmitteln i. S. d. § 47 gehören:
- Prothesen (z. B. Arm-, Bein oder Brustprothesen)
- Absauggeräte
- Adaptionshilfen
- Applikationshilfen
- Bade- und Duschhilfen (z. B. Badenwannenlifter)
- Blindenhilfsmittel
- Einlagen
- Gehhilfen
- Hilfsmittel bei Tracheostoma und Laryngektomie
- Hörhilfen
- Inhalations- und Atemtherapiegeräte
- Inkontinenzhilfen
- Kommunikationshilfen
- Hilfsmittel zur Kompressionstherapie
- behindertengerechte Betten
- Lagerungshilfen
- Mobilitätshilfen (z. B. Rollstuhl)
- Schienen
- Sehhilfen
- Sitzhilfen
- Sprechhilfen
- Stehhilfen
- orthopädische Schuhe
- Toilettenhilfen
- Haarersatz
- behinderungsbedingter Zahnersatz (z. B. nach onkologischem Eingriff am Kiefer).
Rz. 4
Die konkreten Leistungsansprüche des Rehabilitanden ergeben sich nicht aus § 47, sondern aus den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden speziellen Vorschriften (z. B. § 33 SGB V für die Krankenversicherung, § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI für die Rentenversicherung, § 31 SGB VII für die Unfallversicherung, § 46 SGB XIV für die Träger der Sozialen Entschädigung, § 76 i. V. m. § 109 SGB XII für die Träger der Eingliederungshilfe). Der Vorrang der rehabilitationsträgerspezifischen Vorschriften ergibt sich aus § 7 Abs. 1 Satz 1. Danach richten sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen (§ 7 Abs. 1 Satz 2).
Gleichwohl hat § 47 einen trägerübergreifenden Charakter. Das bedeutet:
Alle Rehabilitationsträger sind verpflichtet, im Rahmen ihres Leistungsspektrums gemeinsam dafür zu sorgen, dass die teilhabeberechtigten Bedarfe des Menschen mit Behinderungen bzw. von Behinderung bedrohten Menschen durch die notwendigen Hilfen befriedigt werden.
In Einzelfällen kann ein Leistungsanspruch gegenüber mehreren Rehabilitationsträgern bestehen. Das ist dann der Fall, wenn aufgrund des eingeschränkten Leistungsspektrums des vorrangig leistungspflichtigen Rehabilitationsträgers ein Teil des Teilhabebedarfs nicht umfassend befriedigt werden kann und ein anderer Rehabilitationsträger im Rahmen seines Leistungsspektrums durch die Bereitstellung seiner Leistungen noch den Rest-Teilhabebedarf abdecken kann. Ein Beispiel hierfür ist das aus beruflichen Gründen höherwertige digitale Hörgerät bei einem schwerhörigen Musiker: Hier zahlt i. d. R. die Krankenkasse als vorrangiger Rehabilitationsträger den Fe...