Rz. 2
Bei Anträgen auf Sozialleistungen (§ 12 SGB I), die
- wegen einer Behinderung bzw. drohenden Behinderung oder
- von einem Menschen mit Behinderung oder drohenden Behinderung
gestellt werden, hat der den Antrag bearbeitende Rehabilitationsträger (vgl. § 6) zu prüfen,
- ob der Betroffene Teilhabeleistungen (§ 4) benötigt, damit dieser unter Berücksichtigung der Ziele des § 4 auf Dauer im gewohnten Rahmen am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft teilnehmen kann (Abs. 1) und
- ob durch Teilhabeleistungen Erwerbsminderungsrenten vermieden oder vermindert werden können, bzw. ob der Grad der Erwerbsminderung gesenkt werden kann (Abs. 2) und
- ob durch die Teilhabeleistung eine ggf. bestehende oder drohende Pflegebedürftigkeit vermieden oder positiv beeinflusst werden kann (Abs. 3).
Bezieht der betroffene Mensch vom Jobcenter Arbeitslosengeld II-Leistungen, hat das Jobcenter die Verpflichtung, mögliche Rehabilitationsbedarfe selbst zu erkennen und auf eine Antragstellung hinzuwirken – also ggf. auch Anträge des Leistungsberechtigten für einen anderen Rehabilitationsträger aufzunehmen und diesem zuzuleiten (Abs. 4).
Bei der Antragsprüfung sind alle leistungsrechtlichen Teilhabeaspekte rehabilitationsträgerübergreifend zu prüfen, um durch geeignete Leistungen zur Teilhabe die Auswirkungen einer drohenden oder bereits eingetretenen Behinderung abzudämpfen bzw. den Teilhabeprozess zu fördern.
Ein 16-jähriger Schüler verliert bei einem Autounfall beide Beine. Die Krankenkasse bewilligt nach Beendigung der Krankenhausbehandlung eine stationäre Rehabilitationsleistung. Der Schüler wird voraussichtlich auf Dauer auf einen Rollstuhl angewiesen bleiben. Im Rehabilitationsantrag liest der Mitarbeiter der Krankenkasse, dass der Schüler im 4. Obergeschoss eines Hauses wohnt, das keinen Aufzug hat.
Folge:
Dem Mitarbeiter der Krankenkasse muss sich zumindest die Frage aufdrängen, welche Hilfen notwendig sind, damit der Schüler nach der Rehabilitation wieder die Schule besuchen kann (z. B. Übernahme der Kosten für Taxifahrten etc., Notwendigkeit von Rampen für den Rollstuhl). Hier sind ggf. im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe an Bildung Leistungen der Eingliederungshilfe notwendig. Außerdem stellt sich die Frage, ob der Schüler noch im 4. Obergeschoss des Hauses wohnen bleiben kann. Deshalb ist zeitnah zu prüfen, ob Leistungen zur sozialen Teilhabe im Bereich der Wohnumfeldverbesserung oder in Form einer Umzugshilfe notwendig sind. Aus diesem Grund hat die Krankenkasse darauf hinzuwirken, dass möglichst frühzeitig gezielte Anträge bei den zuständigen Rehabilitationsträgern gestellt werden (§ 12 Abs. 1 S. 2). Bei der Stellung von Anträgen hat sie dem Schüler behilflich zu sein (vorausgesetzt, der Schüler möchte dieses).
Wegen der Zweckbestimmung des § 9 sind die erforderlichen Prüfungen nicht nur bei der Bearbeitung des Leistungsantrags und während der Leistungsgewährung, sondern auch bei Abschluss der Leistung durchzuführen (z. B. nach Auswertung des ärztlichen Entlassungsberichtes).
Rz. 3
§ 9 ist nicht die einzige Vorschrift, die die Rehabilitationsträger zur Prüfung weitergehender Ansprüche i. S. einer besseren Teilhabe eines Menschen mit Behinderung oder drohender Behinderung verpflichtet. Zu nennen sind hier aus den anderen Büchern des SGB:
- § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VI (Leistungen zur Teilhabe vor Rente),
- § 26 Abs. 5 SGB VII (Prüfpflicht zur Vermeidung/Minderung von Pflegebedürftigkeit),
- § 5 SGB XI (Vorrang von Prävention und medizinischer Rehabilitation vor Pflege),
- § 31 SGB XI (Vorrang der medizinischen Rehabilitation vor Pflege),
- § 40 Abs. 3 Satz 6 SGB V ("Strafzahlung" bei nicht rechtzeitiger Einleitung von medizinischen Rehabilitationsleistungen bei pflegebedürftigen Versicherten).