Leitsatz (amtlich)
Die Verfügung über die Aussetzung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheids kann den zusammenveranlagten Ehegatten nicht in einer Ausfertigung unter ihrer gemeinsamen Anschrift bekanntgegeben werden, wenn nur einer der Ehegatten ein Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid eingelegt hat.
Normenkette
AO § 155 Abs. 5, §§ 228, 231 Abs. 1, § 361 Abs. 2; EStG § 26b
Nachgehend
Tenor
Das Urteil wurde im Hinblick auf die Wahrung des Steuergeheimnisses gemäß § 30 Abgabenordnung überarbeitet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob Zahlungsverjährung eingetreten ist.
Die Klägerin (Klin.) ist angestellt …. Der Ehemann erklärte negative Einkünfte aus selbständiger Arbeit aus der Tätigkeit als …. In den Einkommensteuer (ESt)-Erklärungen der Streitjahre 1981-1984 haben sich die Ehegatten jeweils zur Entgegennahme der Steuerbescheide und der Änderungsbescheide bevollmächtigt; in der ESt-Erklärung 1980 erklärten sie, daß „jeder der unterzeichnenden Ehegatten berechtigt ist, den Steuerbescheid in Empfang zu nehmen”.
Das beklagte Finanzamt (FA) führte für die Streitjahre antragsgemäß Zusammenveranlagungen durch.
Mit den geänderten ESt-Bescheiden für die Jahre 1980, 1981, 1982 und 1984 vom 16. Oktober 1987 sowie mit dem geänderten ESt-Bescheid für 1983 vom 6. November 1987 wurden die in den Jahren 1980 bis 1984 erklärten Verluste des Ehemanns nicht mehr anerkannt, weil die Tätigkeit des Ehemanns als steuerlich unbeachtliche Liebhaberei angesehen wurde.
Der Ehemann erhob gegen die geänderten ESt-Bescheide Einspruch und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der ESt-Nachzahlungen. Mit Bescheid vom 30. November 1987 gewährte das FA die AdV in folgender Höhe:
1980 |
DM |
1981 |
DM |
1982 |
DM |
1983 |
DM |
1984 |
DM |
Der Bescheid über die AdV wurde an die Klin. und ihren Ehemann adressiert. In dem Bescheid heißt es u. a., daß die AdV „mit Rücksicht auf den am 29.10/9.11.1987 eingelegten Rechtsbehelf” gegen die ESt-Bescheide 1980-1985 erfolge; die AdV beginne am Fälligkeitstag und ende eine Woche nach Bekanntgabe der geänderten Bescheide, mit der Rücknahme der Rechtsbehelfe oder mit Eintritt der Rechtskraft der Rechtsbehelfsentscheidung. Der AdV-Bescheid ist der Klin. und ihrem Ehemann in einer Ausfertigung übermittelt worden.
Mit Bescheid vom 19. April 1988 gewährte das FA, das zuvor die ESt-Nachzahlung des Jahres 1980 in Höhe eines Teilbetrages von … DM mit einem Umsatzsteuer (USt)-Guthaben verrechnet hatte, auf Antrag des Ehemanns die AdV des ESt-Bescheides in Höhe des vollen Nachzahlungsbetrages von … DM. Dieser AdV-Bescheid wurde (nur) an den Ehemann adressiert.
Die Einsprüche sowie die sich hieran anschließende Klage des Ehemanns blieben ohne Erfolg.
Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluß vom 31. August 1993 auch die von dem Ehemann eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen hatte, beendete das FA mit Bescheiden vom 5. November 1993 gegenüber beiden Ehegatten die AdV und forderte sie auf, die ausgesetzten Beträge bis zum 15. November 1993 zu zahlen.
In der Folgezeit kam es zwischen den Beteiligten zum Streit darüber, ob die Steueransprüche aus den ESt-Bescheiden 1980 bis 1984 gegenüber der Klin. infolge Zahlungsverjährung erloschen sind. Das FA hielt die Einwendungen (im wesentlichen) nicht für zutreffend und stellte – einem entsprechenden Antrag der Klin. folgend – mit Abrechnungsbescheid vom 14. Dezember 1994 die gegenüber der Klin. bestehenden Steueransprüche wie folgt fest:
1980 |
DM |
1981 |
DM |
1982 |
DM |
1983 |
DM |
1984 |
DM. |
Die Minderung bei der ESt 1980 ergab sich aus einer – von der Klin. nicht anerkannten – Verrechnung mit einem ESt-Guthaben aus 1985 in Höhe von … DM sowie Kirchensteuer (KiSt) 1985 in Höhe von … DM; die Minderung bei der ESt 1983 und 1984 aus Berichtigungsveranlagungen, bei denen das FA zu Gunsten des Ehemanns nachträglich erhöhte Kinderfreibeträge gemäß § 54 Einkommensteuergesetz (EStG) berücksichtigt hatte.
Zur Begründung führte das FA in dem Abrechnungsbescheid aus, daß – bis auf einen Teilbetrag in Höhe von … DM bei der ESt 1980 – keine Zahlungsverjährung eingetreten sei, weil diese durch die Gewährung der AdV in dem – an beide Ehegatten adressierten – Bescheid vom 30. November 1987 unterbrochen worden sei.
Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Auf den Inhalt der Einspruchsentscheidung vom 8. März 1995 wird Bezug genommen.
Die Klin. hat gegen die Einspruchsentscheidung fristgerecht Klage erhoben, zu deren Begründung sie vorträgt:
Das FA verkenne, daß auch gegenüber zusammenveranlagten Ehegatten getrennte Verjährungsfristen liefen. Da sie die geänderten ESt-Bescheide nicht angefochten habe, habe ihr gegenüber die Vollziehung dieser Bescheide auch nicht ausgesetzt werden können.
Die in dem Bescheid vom 30. November 1987 verfügte AdV habe zu keiner Unterbrechung der Verjährungsfrist ihr gegenüber geführt. Der Verwaltungsakt sei ihr gegenüber nämlich nicht wirksam bekanntgegeben worden. Hierzu wäre die Übermittlung je...