Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. begünstigender Verwaltungsakt. Feststellung über die Versicherungspflicht. Anfechtung durch Dritten. Rücknahme und Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Enthält ein Verwaltungsakt sowohl begünstigende als auch belastende Regelungen, so entscheidet sich die Frage, ob er ein begünstigender Verwaltungsakt iS des § 45 SGB 10 ist, aus der subjektiven Sicht des Betroffenen.
2. § 49 SGB 10 greift im Falle der Anfechtung eines Verwaltungsakts durch einen Dritten nur dann ein, wenn dieser während des laufenden Vor- oder Gerichtsverfahrens aufgehoben wird. Dies ist bei einem Anerkenntnis oder Vergleich iS des § 101 SGG, die die Erledigung des Rechtsstreits mit dem Dritten zur Folge haben, nicht gegeben.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 16. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin und der Beigeladenen zu 4) auch die außergerichtlichen Kosten des zweiten Rechtszuges zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin seit dem 1. Mai 1999 eine selbstständige Tätigkeit ausübt.
Die 1947 geborene Klägerin ist Gesellschafterin mit einem Anteil von 25 v. H. an der Beigeladenen zu 4). Der Gesellschaftsanteil wurde ihr von deren Geschäftsführer und weiterem Gesellschafter, ihrem Ehemann J. H., am 5. Mai 1999 übertragen. Zwischen der Beigeladenen zu 4) und der Klägerin besteht ein Arbeitsvertrag vom 1. Mai 1999, demzufolge das Arbeitsverhältnis unbefristet abgeschlossen ist und als Tätigkeiten die Angebots- und Auftragsbearbeitung, Kundenpflege, Festlegung der Geschäftsziele, Planung und Ausführung von Investitionen beinhalten sollte. Die Vergütung war monatlich auf 2.450,00 EUR zuzüglich 230,00 EUR Sachbezug für Pkw vereinbart worden (Ziffer 3). Die Klägerin kann die Dauer der täglichen Arbeitszeit und ihren Arbeitsort frei wählen und unterliegt keinem Weisungsrecht (Ziffer 4). Ihre Arbeit umfasst sämtliche Arbeitsbereiche und Arbeitsaufträge. Sie entscheidet selbst, in welcher Art und Weise und mit welchen Arbeitsmitteln sie ihre Arbeitsgebiete bearbeitet bzw. die Arbeitsaufträge ausführt (Ziffer 5). Es besteht kein Urlaubsanspruch, Ortsabwesenheit braucht vom Arbeitgeber nicht genehmigt zu werden (Ziffer 6). Überstunden können nicht geltend gemacht werden (Ziffer 7). Es ist ein Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall vereinbart, deren Dauer nicht festgelegt ist (Ziffer 8). Die Gesellschafterversammlung beschloss am 29. September 2005 als Versorgung der Klägerin eine Direktversicherung bei der H.-M. Lebensversicherungs-AG.
Mit notariellem Vertrag vom 18. September 2008 wurde der Gesellschaftsanteil der Klägerin an der Beigeladenen zu 4) auf 50 v.H. erhöht.
Die Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Diese nahm eine Überprüfung des Versicherungsverhältnisses vor und stellte mit Bescheiden vom 21. und 30. November 2005 fest, dass die Klägerin bei der Beigeladenen zu 4) nicht beschäftigt, sondern selbstständig tätig sei. Als Gesellschafter-Geschäftsführerin verfolge sie aufgrund ihrer Gesellschafterstellung unternehmerische Ziele und sei nicht in einem fremden Unternehmen tätig. Sie trage einen erheblichen Anteil am Unternehmerrisiko und sei vom Selbstkontrahierungsverbot gemäß § 181 BGB befreit. Sie sei damit nicht persönlich oder wirtschaftlich von der Beigeladenen zu 4) abhängig. Die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung seien zu Unrecht entrichtet worden. Sie - die Beklagte - werde die Klägerin ab 1. Mai 1999 als hauptberuflich selbstständige Unternehmerin in die Versicherungsklasse F11 000 (ohne Krankengeldanspruch) einstufen. Die Beigeladene zu 3) erhielt eigenen Angaben zufolge den Bescheid vom 30. November 2005 am 12. April 2006 zur Kenntnis. Sie äußerte nach mehrfachem Schriftwechsel Bedenken hinsichtlich der Selbstständigkeit der Klägerin und forderte die Beklagte erstmalig mit Schreiben vom 5. Oktober 2006 auf, die Versicherungspflicht der Klägerin in der Rentenversicherung festzustellen. Diesen Anspruch machte sie am 28. März 2007 beim Sozialgericht Berlin geltend (S 84 KR 1039/07). Die Beklagte erkannte den Klaganspruch an.
Mit Bescheid vom 19. Juni 2007 stellte sie fest, dass die Klägerin bei der Beigeladenen zu 4) beschäftigt sei. Sie nahm den Bescheid vom 30. November 2005 in Ausführung des Anerkenntnisses vor dem Sozialgericht Berlin zurück. Zur Begründung führte sie aus, als mitarbeitende Minderheitsgesellschafterin sei die Klägerin nicht in der Lage, ihr nicht genehme Weisungen ihres Ehemannes als Geschäftsführer zu verhindern. Dagegen legte die Klägerin am 10. Juli 2007 Widerspruch ein. Sie machte einen Vertrauensschutz geltend und stützte sich auf den Bescheid vom 21. November 2005, der bestandskräftig geworden sei. Die Rückzahlung der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung seit 1. Mai 1999 sei darin ausdrücklich geregelt. Seit Dezember 2005 habe sie ...