Analyse des EuGH-Urteils in der Rechtssache C-453/22
[Ohne Titel]
RA StB Georg von Streit / RA FAStR Dr. Thomas Streit, LL.M Eur.
Das Urteil des EuGH vom 7.9.2023 in der Rs. Schütte bringt einige Klärungen zum Direktanspruch und dessen Verhältnis zum Steuerkorrekturverfahren gem. § 14c UStG. Es zeigt aber auch noch einmal deutlich die Defizite auf, die im deutschen Gesetz im Hinblick auf beide Verfahren und deren Abstimmung aufeinander bestehen. Der Beitrag befasst sich in einer umfassenden Analyse mit dem Wortlaut der Entscheidung.
I. Sachverhalt und Vorlage
Urteil zum "Direktanspruch": Mit seinem ‚Schütte‘-Urteil vom 7.9.2023 hat der EuGH über eine Vorlage des FG Münster entschieden, die den sog. Reemtsma-Anspruch bzw. Direktanspruch des Empfängers einer Leistung betraf; also den Anspruch des Leistungsempfängers (LE) gegen sein Finanzamt (FA) auf Erstattung von MwSt-Beträgen, die der Leistende (L) ihm zu Unrecht in Rechnung gestellt und von ihm vereinnahmt hat, die LE aber von L nicht mehr oder nur unter Inkaufnahme besonderer Schwierigkeiten zurückerlangen kann, obwohl er zivilrechtlich einen Anspruch auf deren Rückzahlung hätte.
Sachverhalt: Der zugrunde liegende Sachverhalt war folgender: LE zahlte L in den Veranlagungszeiträumen (VZ) 2011 bis 2013 zu viel MwSt (nämlich 19 % statt 7 %). L führte die Beträge an sein FA, das FA (L), ab. Das für LE zuständige FA, das FA (LE), versagte ihm am 30.9.2019 den Vorsteuerabzug i.H.v. 12 % und erhöhte seine Steuer entsprechend (zzgl. Zinsen). LE forderte die zu viel an L gezahlten MwSt-Beträge von diesem zurück, L machte aber die Einrede der Verjährung ggü. LE geltend und zahlte nicht. LE stellte daraufhin "mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 einen Antrag beim [FA LE], ihm die nachgeforderte Umsatzsteuer und die festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer [...] im Wege der Billigkeit gem. §§ 163, 227 Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Dabei nahm er ausdrücklich Bezug auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs." Das FA (LE) lehnte die Anträge im Dezember 2019 ab.
Vorlagefragen: Das FG sah einen Direktanspruch von LE gegen das FA (LE) unter Beachtung der unionsrechtlichen Grundsätze im Prinzip als möglich an. Es wollte aber zum einen vom EuGH wissen, ob dieser Anspruch (einschließlich Zinsen) auch dann bestehe, wenn L sich auf die Einrede der Verjährung berufe. Das FG war sich nicht sicher, ob die Erstattung für LE dann "unmöglich oder übermäßig erschwert" sei (oder ob das nur bei Zahlungsunfähigkeit des L der Fall sei).
Zum anderen wollte das FG wissen, ob der Anspruch auch dann bestehe, wenn es (zumindest theoretisch) möglich sei, dass L später seine Steuerschuld, die gem. Art. 203 MwStSystRL (§ 14c UStG) i.H.v. 12 % entstanden ist, in dem hierfür vorgesehenen Verfahren korrigiere und seinerseits die Erstattung der zu viel abgeführten MwSt von seinem FA verlange. In diesem Fall bestünde die Gefahr, dass der Fiskus die streitigen Beträge zweimal erstatten müsse.
II. Entscheidung des EuGH
Anspruch aus dem Unionsrecht: Der EuGH wies zunächst noch einmal darauf hin, dass es sich beim Anspruch auf Erstattung unionsrechtswidrig erhobener Steuern um einen unionsrechtlich garantierten Anspruch handelt.
MS regeln die Ausübungsvoraussetzungen: Bestehen und Umfang des Direktanspruchs ergeben sich also nicht aus dem Recht der Mitgliedstaaten (MS). Diese sind – sofern das Unionsrecht keine entsprechenden Regelungen enthält – (nur) dafür zuständig, unter Beachtung der unionsrechtlichen Besteuerungsgrundsätze die Voraussetzungen zu regeln, unter denen eine solche Erstattung verlangt werden kann.
Abwicklung "in der Lieferkette" als Regelfall zulässig: Dafür, wie solche Regelungen auszusehen hätten, verwies der Gerichtshof im vorliegenden Urteil auf seine ständige Rechtsprechung, der zufolge ein System, in dem zum einen der Leistende die Erstattung der MwSt von den Steuerbehörden verlangen, zum anderen der Leistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Steuer gegen den Leistenden erheben könne, grundsätzlich unionsrechtskonform sei.
Aber Direktanspruch, wenn Regelfall unzumutbar: Werde aber die Erstattung der MwSt unmöglich oder übermäßig schwierig, könne sich aus den unionsrechtlichen Grundsätzen ergeben, dass dem Leistungsempfänger die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, einen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die St...