1. Fallkonstellation des "umgekehrten" Falls
"Umgekehrter" Fall = erst Steuerkorrektur, später evtl. Direktanspruch: Fraglich ist, ob aus dem Urteil des EuGH vom 7.9.2023 auch zum "umgekehrten" Fall Schlüsse gezogen werden können.
In dem dem EuGH-Urteil zugrunde liegenden Fall hatte zunächst der LE einen Direktanspruch geltend gemacht, während die Möglichkeit bestand, dass L später noch die gem. § 14c UStG geschuldete Steuer im Steuerkorrekturverfahren berichtigt. Der "umgekehrte" Fall wäre der Fall, dass zunächst L eine Steuerkorrektur durchführt, die ihm vom FA erstatteten Beträge aber nicht an LE zurückzahlt bzw. zurückzahlen will (weil dessen Rückzahlungsanspruch z.B. die Verjährung oder die Insolvenz bzw. die Zahlungsunfähigkeit des L entgegensteht), so dass die Möglichkeit besteht, dass LE später einen Direktanspruch geltend macht.
Keine direkten Aussagen des EuGH: Zu diesem "umgekehrten" Fall hat sich der EuGH im vorliegenden ‚Schütte‘-Urteil nicht geäußert. Es wäre aber zu überlegen, ob sich aus der Entscheidung Hinweise dafür ergeben, dass in diesem Fall entweder die Geltendmachung des Direktanspruchs durch LE oder die Steuerkorrektur durch L missbräuchlich sein könnte.
2. Direktanspruch missbräuchlich?
Möglicherweise Direktanspruch missbräuchlich: Denkbar ist, dass sich aus den Feststellungen des EuGH ergibt, dass in dem Fall, dass L die Steuer im Steuerkorrekturverfahren erstattet bekommt, die Beträge aber nicht an LE zurückzahlt, zwar das Steuerkorrekturverfahren zulässig wäre, die spätere Geltendmachung eines Direktanspruchs durch LE aber wegen Missbräuchlichkeit nicht.
"First come, first served" (FG Düsseldorf): Das entspräche zumindest im Ergebnis der Sichtweise des FG Düsseldorf. Dieses hatte über den Fall zu entscheiden, dass das FA des L – obwohl das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen bereits eröffnet worden war – die Steuerkorrekturen durch den Insolvenzverwalter anerkannt und die Steuerbeträge an die Masse erstattet hat. Da der LE aufgrund der Insolvenz diese MwSt-Beträge von L nicht zurückgezahlt bekam, machte er bei seinem FA einen Direktanspruch geltend. Das FG Düsseldorf lehnte diesen Anspruch in seinem Urteil vom 4.12.2020 mit der Begründung ab, der Fiskus sei nicht mehr um die (vom FA ausgezahlte) Mehrwertsteuer bereichert.
Es wird kein ungerechtfertigter Steuervorteil angestrebt: Dieses Ergebnis kann allerdings schon aus systematischen Gründen nicht überzeugen. Insbesondere läge, anders als im vom EuGH entschiedenen Fall, kein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität vor. So wäre die Geltendmachung des Direktanspruchs durch LE nämlich nicht missbräuchlich. Schließlich bekäme er auf andere Weise die Beträge, mit denen er zu Unrecht belastet worden ist, nicht zurück. Mit seinem Direktanspruch würde er also nicht den Zweck verfolgen, einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu erlangen.
Kompensation der zu Unrecht abgewälzten Steuerlast: LE würde mit seinem Antrag vielmehr den Zweck verfolgen, die Unvereinbarkeit der Abgabe mit dem Unionsrecht dadurch zu beheben, dass seine mit der Abgabe zu Unrecht auferlegte wirtschaftliche Belastung (er hat die Steuerlast im Endeffekt ja tatsächlich getragen), neutralisiert wird. Anders gesagt: Genau für diese Situation, in der der LE die Steuerbelastung zu Unrecht getragen hat, sein Geld aber von L nicht mehr bekommen kann, hat der EuGH die Rechtsfigur des Direktanspruchs aus den mehrwertsteuerlichen Grundsätzen herausgearbeitet. LE soll eben keinen ungerechtfertigten Nachteil dadurch erleiden, dass er bzgl. der MwSt derjenige ist, der die Zeche zahlt. Es wäre daher nicht verständlich, warum sein Anspruch aufgrund von Umständen entfallen sollte, auf die er keinerlei Einfluss hat.