Leitsatz
Die "Europäischen Schulen" erfüllen die Voraussetzungen, unter denen bei einer deutschen Schule eine Genehmigung zu erteilen wäre, und sind durch den deutschen Gesetzgeber in einer Weise anerkannt, die einer staatlichen Genehmigung gleichkommt (Abweichung vom BFH-Urteil vom 16.12.1998, X R 3/98, BFH/NV 1999, 918).
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG
Sachverhalt
Der Kläger ist ein selbstständiger Rechtsanwalt (R), der als deutscher Staatsangehöriger seit 1989 mit seiner Familie in Brüssel lebt. Die drei Kinder besuchen in Brüssel die "Europäische Schule", wofür in den Streitjahren 1994 und 1995 Schulgeld i.H.v. 4.911 DM bzw. 5.072 DM zu entrichten war. R, der auf seinen Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt und mit seiner Ehefrau zusammen zur ESt veranlagt wurde, machte 30 % der Schulgeldzahlungen als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG geltend.
Das FA versagte den Abzug. Das FG wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und gab der Klage statt.
Der Sonderausgabenabzug sei gerechtfertigt, weil die Europäische Schule in einer Weise vom deutschen Gesetzgeber anerkannt worden sei, die einer staatlichen Genehmigung i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG gleichkomme.
Hinweis
1. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist der Abzug von Schulgeldern für Privatschulen auf bestimmte Schultypen beschränkt, nämlich auf staatlich genehmigte oder nach Landesrecht erlaubte Ersatzschulen sowie auf nach Landesrecht anerkannte allgemeinbildende Ergänzungsschulen. Dazu gehören die "Europäischen Schulen" nicht, da sie nicht durch eine nationale Landesbehörde staatlich genehmigt worden sind.
Der BFH geht jedoch davon aus, dass die gesetzliche Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG eine (verdeckte) Regelungslücke enthält, die im Weg teleologischer Extension zu schließen ist. Denn die Europäischen Schulen erfüllen zum einen die Voraussetzungen, unter denen bei einer deutschen Schule eine Genehmigung hätte erteilt werden müssen (s. unten 2.); zum anderen sind sie durch den deutschen Gesetzgeber in einer Weise anerkannt worden, die einer staatlichen Genehmigung gleichkommt (s. unten 3.).
2. Die Europäischen Schulen sind in ihren Lehrzielen und Einrichtungen mit den öffentlichen Schulen in Deutschland vergleichbar. Das ergibt sich aus Art. 7 ff. der Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen (BGBl II 1996, S. 2559). Die Sekundarstufe wird mit der Europäischen Abiturprüfung abgeschlossen. Da sich auch die Schulgelder in vertretbarem Rahmen bewegen, wird eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert (vgl. dazu BFH, Urteil vom 14.12.2004, XI R 66/03, BFH-PR 2005, 246, wo aus diesem Grund der Abzug des Schulgelds für ein britisches College versagt wurde). Dieser Schultyp hätte deshalb im Inland genehmigt werden müssen.
3. Der Deutsche Bundestag hat den verschiedenen Protokollen und Satzungen, die zur Gründung und zum weiteren Betrieb der Europäischen Schulen verabschiedet worden sind, in einer Reihe von Gesetzen ausdrücklich zugestimmt. Dies kommt nach Auffassung des BFH einer staatlichen Genehmigung gleich, wie § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG sie vorsieht. Dieser Auffassung hat auf Anfrage auch der X. Senat des BFH zugestimmt, der zunächst in der im Leitsatz genannten Entscheidung gegenteilig entschieden hatte.
Beachte: In vergleichbarer Weise hat der BFH auch die Anerkennung durch die ständige Konferenz der Kultusminister der Länder ( KMK) als ausreichend angesehen und deshalb den Schulgeldabzug für eine deutsche Schule im Ausland gewährt (BFH, Urteil vom 14.12.2004, XI R 32/03, BFH-PR 2005, 245).
Hinweis: Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, weil die Versagung des Sonderausgabenabzugs für an Schulen im Ausland gezahltes Schulgeld u.a. gegen die Niederlassungsfreiheit verstoße. Darauf hatte sich auch der Kläger im Besprechungsfall berufen. Bei der hier getroffenen Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG brauchte der BFH allerdings nicht darüber zu entscheiden, ob der Unterricht an einer Europäischen Schule in Brüssel eine Dienstleistung i.S.d. Gemeinschaftsrechts ist und deshalb eine steuerliche Diskriminierung verboten sein könnte.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.4.2006, XI R 1/04