2.2.1 Für den Einzelfall bedeutsame Umstände
Rz. 18
Dass das FA bei seiner Entscheidungsfindung alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berücksichtigen und nicht nur profiskalisch ausgerichtet zu ermitteln hat, ist Ausdruck des Legalitätsgrundsatzes in Gestalt des Neutralitäts- oder Objektivitätsgebots.
Rz. 19
Gegenstand der Untersuchung dürfen nur die für die Rechtsanwendung potenziell erheblichen, die sog. entscheidungserheblichen Verhältnisse sein. Über den gesetzlichen Tatbestand hinaus darf die Untersuchung nicht ausgedehnt werden. Er bestimmt die äußerste Grenze des Ermittlungsrechts der Finanzbehörde. Denn die Ermittlung von steuerlich irrelevanten Tatsachen ist nicht erforderlich, mithin ermessensfehlerhaft und damit letztlich rechtswidrig. Entscheidungserheblich sind alle Tatsachen, die sich auf die Besteuerung – sei es steuerbegründend oder -erhöhend, sei es steuermindernd oder -befreiend – auswirken können. Die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit erfordert also eine genaue Kenntnis des materiellen Rechts.
Rz. 20
Zu den für den Umfang der Ermittlungsmaßnahmen im jeweiligen Einzelfall bedeutsamen Umständen zählt neben den Sachverhaltsinhalten als solchen auch deren Aufklärungsbedürftigkeit, der Ermittlungsaufwand, der im Einzelfall zu erwartende Ermittlungserfolg, die Erforderlichkeit von Eingriffen in die Grundrechte betroffener Personen (Rz. 73f.), die jeweilige Bedeutung der vom Stpfl. zu fordernden Mitwirkung, aber auch die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen.
2.2.2 Objektivitätsgrundsatz
Rz. 21
Da der Untersuchungsgrundsatz im Dienst der Legalität steht, beschreibt § 88 Abs. 1 S. 2 AO eine Selbstverständlichkeit. Die Finanzbehörden sind zur Objektivität und Neutralität verpflichtet und müssen deshalb auch die für die Beteiligten günstigen Umstände berücksichtigen. Sie müssen ihrer Pflicht zur Fürsorge für den Stpfl. gerecht werden und deshalb z. B. auch Verjährungsfragen von Amts wegen prüfen. Die Finanzbehörden sind letztlich nicht Beauftragte des Fiskus, sondern neutrales Vollzugsorgan des objektiven Rechts. Dies bedeutet aber nicht, dass § 88 Abs. 1 S. 2 AO eine allgemeine Meistbegünstigungsregel beinhaltet. Mit der Norm wird nur das allgemeine Ziel, dem Betroffenen zu einer materiell zutreffenden Entscheidung zu verhelfen, für die Sachverhaltsermittlung konkretisiert.
Rz. 22
Die Berücksichtigung der für den Stpfl. günstigen Umstände durch Ermittlungen der Finanzbehörde findet ihre Grenzen in der Mitwirkungspflicht des Stpfl. Die Mitwirkung des Beteiligten dient als ein mögliches Mittel der Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen.