Prof. Dr. Alexander Kratzsch
Rz. 3
Der Begriff der Geschäftsleitung nach § 10 AO entspricht im Wesentlichen dem Begriff des tatsächlichen Verwaltungssitzes im Zivil- und Handelsrecht. Die Geschäftsleitung, also der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung, liegt nach st. höchstrichterlicher Rspr. dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird. Hierbei ist entscheidend auf die tatsächlichen Verhältnisse, nicht auf die rechtlichen Möglichkeiten abzustellen. Auch eine von der tatsächlichen geschäftsleitenden Geschäftsführung abweichende Absicht, an einem anderen Ort die Geschäfte zu leiten, ist unbeachtlich.
2.1 Bildung des maßgebenden Willens
Rz. 4
Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung liegt dort, wo der maßgebende Wille der Körperschaft, Personenvereinigung, Gesellschaft oder des Unternehmens gebildet wird. Das ist dort, wo die für die Geschäftsführung erforderlichen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden, also die den Willen gestaltenden Personen ihre Entscheidungen treffen. Wo das konkret liegt, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall ab. Das gilt auch hinsichtlich der Frage, welche Person oder Personen den maßgeblichen Willen bilden. Auch eine sehr starke Einflussnahme eines Mehrheits- oder Alleingesellschafters hat für sich noch keinen geschäftsleitenden Charakter. Umgekehrt können auch nur die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen den entscheidenden Willen gestalten. Greift der inländische Mehrheitsgesellschafter in den gewöhnlichen Geschäftsverkehr der ausländischen Gesellschaft nicht aktiv ein und überwacht ihn nur, so fehlt i. d. R. eine Geschäftsleitung im Inland. Das Büro oder die Wohnung eines Aufsichtsrats werden i. d. R. nicht den Ort der Geschäftsleitung eines Unternehmens begründen.
Rz. 5
Werden die wichtigen Maßnahmen und Entscheidungen nicht nur an einem einzigen Ort getroffen, so ist maßgebend, wo sich die in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht bedeutungsvollste Stelle befindet. Das kann, soweit eine Zuordnung nach einer Gesamtwürdigung nicht möglich ist, an mehreren Orten gegeben sein.
2.2 Geschäftliche Oberleitung
Rz. 6
Zur geschäftlichen Oberleitung zählt nur die Geschäftsführung i. e. S. Das ist die laufende Geschäftsführung. Zu dieser gehören die tatsächlichen und rechtlich-geschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft oder des sonstigen Unternehmens mit sich bringt, sowie die organisatorischen Maßnahmen, die die gewöhnliche Verwaltung der Gesellschaft im Tagesgeschäft mit sich bringt. Hiervon zu trennen sind einzelne und ungewöhnliche Entscheidungen zur Geschäftsführung mit oder ohne Beteiligung der Gesellschafter sowie die Festlegung der "Unternehmenspolitik". Maßgebend sind die tatsächlichen Umstände, die faktische Geschäftsleitung. In die Beurteilung sind nur solche Entscheidungen mit einzubeziehen, die für Rechnung der Person getroffen werden, deren Ort der Geschäftsleitung zu bestimmen ist. Nicht relevant ist die selbstständige Besorgung nur nebensächlicher Geschäftsangelegenheiten. Die Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik und die Mitwirkung an ungewöhnlichen Maßnahmen bzw. an Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung sind ebenso i. d. R. nicht Teil der laufenden Geschäftsführung, soweit nicht dem Geschäftsführer ausnahmsweise im Gesellschaftsvertrag für derartige Entscheidungen eine entsprechende Ermächtigung eingeräumt wird.
Rz. 7
Im Übrigen können nur solche Entscheidungen und Maßnahmen unter die geschäftliche Oberleitung fallen, die für Rechnung der Person, der Gesellschaft oder des Unternehmens getroffen werden, deren Ort der Geschäftsleitung zu bestimmen ist.
2.3 Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung
Rz. 8
Die Geschäftsleitung als Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung liegt dort, wo der Wille fü...