Rz. 1
§ 101 AO gewährt Angehörigen eines Beteiligten ein Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht. Diese Regelung soll eine Interessenkollision infolge der familiären Bindung vermeiden. Im Grundsatz ist damit der Konflikt zwischen dem staatlichen Interesse an der Sachverhaltsaufklärung und dem privaten Interesse an der Achtung der schutzwürdigen Vertrauenssphäre für Angehörige zugunsten des Individualschutzes gelöst worden.
Rz. 2
Das Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht ist ein selbstständiges persönliches Recht des auskunftspflichtigen Angehörigen. Es steht, anders als das berufliche Auskunftsverweigerungsrecht nach § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO, nicht zur Disposition des Beteiligten. Der Angehörige kann auch dann jegliche Mitwirkung verweigern, wenn der Beteiligte eine Auskunft des Angehörigen als Beweismittel angeboten hat und wünscht. Umgekehrt ist auch der Verzicht auf das Auskunftsverweigerungsrecht gegen den Willen des Beteiligten zulässig.
Rz. 3
Anknüpfungspunkt für das Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht ist ausschließlich die objektive Angehörigeneigenschaft (s. Rz. 7ff.) in Bezug auf den Beteiligten (s. Rz. 12ff.). Das Auskunftsverweigerungsrecht besteht nicht, wenn die Auskunft in einem Verfahren zu erteilen ist, in dem der Beteiligte nicht Angehöriger ist, sich die Auskunft für einen Angehörigen des Auskunftspflichtigen möglicherweise aber nachteilig auswirken könnte. Hier wird die Auskunftspflicht nur durch § 103 AO bei der Gefahr einer strafrechtlichen oder bußgeldrechtlichen Verfolgung für den Angehörigen eingeschränkt. Steuerlich nachteilige Folgen rechtfertigen eine Einschränkung des öffentlichen Interesses an der zutreffenden Sachverhaltsermittlung nicht.
Rz. 4
Die Geltendmachung des Auskunftsverweigerungsrechts erfolgt durch Erklärung gegenüber der Finanzbehörde und braucht – anders als bei der Auskunftsverweigerung wegen Verfolgungsgefahr nach § 103 AO – nicht begründet zu werden; es ist jedoch ggf. die Angehörigeneigenschaft glaubhaft zu machen. Es braucht also nicht geprüft oder gar nachgewiesen zu werden, dass aufgrund der familiären Bindung tatsächlich eine Konfliktsituation eintreten könnte. Das Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht besteht auch, wenn sich die Mitwirkung für den Beteiligten ausschließlich positiv auswirken würde. Die Ausübung des Verweigerungsrechts ist der gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Der Angehörige kann durch den Widerruf der Auskunftserteilung den Verzicht auf das Verweigerungsrecht nicht heilen, da der Inhalt der Auskunft von dem Amtsträger zur Kenntnis genommen worden ist.
Wegen der Auswirkungen der Auskunftsverweigerung bzw. des Widerrufs auf die Beweiswürdigung s. Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Vor §§ 101–106 AO Rz. 13. Zum Rechtsschutz s. Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Vor §§ 101–106 AO Rz. 6ff.
Rz. 5
Der Inhalt des Auskunfts- und Eidesverweigerungsrechts ist nicht beschränkt, es besteht im Ganzen. Das Auskunftsverweigerungsrecht ist nicht teilbar. Es kann nicht nur hinsichtlich belastender Fragen ausgeübt, hinsichtlich vermeintlich günstiger Fragen aber nicht ausgeübt werden.
Das Recht zur Mitwirkungsverweigerung bezieht sich nur auf die Auskunftserteilung. Das Recht der Finanzbehörde zur Fertigung von Kontrollmitteilungen für ein mögliches Besteuerungsverfahren gegen einen Angehörigen des Beteiligten wird durch § 101 AO nicht eingeschränkt.
Rz. 6
Die Mitwirkungsverweigerungsrechte für Angehörige nach §§ 101, 104 AO gelten nur für das Verwaltungsverfahren in Abgabenangelegenheiten, in diesem Bereich aber in jedem Verfahrensabschnitt, und nach § 84 FGO entsprechend auch im Verfahren der Finanzgerichtsbarkeit. Für das Straf- oder Bußgeldverfahren wegen Steuerstraftaten oder Steuerordnungswidrigkeiten gelten § 52 StPO bzw. § 46 OWiG mit einer inhaltlich weitgehend entsprechenden Regelung.